Dunkle Existenzen (1902)

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Jeff Bowersox (translated by Lilian Gergely)


English

“Dunkle Existenzen. Aus dem Berufsleben der Berliner Neger”

Kaum vierzig Jahre sind verstrichen, seit der amerikanische Bürgerkrieg den Schwarzen zum freien Mann und amerikanischen Bürger machte. Damals konnte er weder lesen noch schreiben, kannte nur seinen Herrn, dem er mit Leib und seele angehörte. Dann kam jene Emanzipations-Proklamation, die Abraham Lincolns Namen unsterblich machte und – der Neger war plötzlich ein freier Mann.

Wie schnell seitdem die Rasse sich emporgearbeitet hat, ist fabelhaft. Senatoren und Pfarrer, Rechtsanwälte und Millionäre kann sie ausweisen. Allerdings in Amerika; doch ist diese Thatsache umsomehr anzuerkennen, als grade die Bürger der freien Vereinigten Staaten die Herkunft ihrer schwarzen Mitbürger augenscheinlich nicht vergessen können.

Die unfreundliche und ungerechte Behandlung der Schwarzen in Amerika dürfte hauptsächlich der Grund sein, weshalb die Anzahl der schwarzen Bürger europäischer Städte in stetem Wachsen begriffen ist. hier in Berlin tauchen täglich neue dunkle Gesichter auf, die allerdings zum Teil auch aus den deutschen Kolonien stammen. Dabei kann man so recht die Fähigkeit beobachten und bewundern, mit der sie sich in gegebene Verhältnisse hineinfinden, und sich zu ansehnlichen Stellungen emporschwingen. Da ist z.B. James Allen, ein reich begabter Musiker, der die Hochschule zu Garfort besuchte, dann aber seine Studien aufgab, um mit einer hübschen Künstlerin zu entfliehen.

Jetzt erfreut er allabendlich die Gäste eines Cafes der Friedrichstraße mit seinen Klaviervorträgen. Da ist ferner Joseph Byll, ein sehr beachtenswertes Zeichentalent. Bis zu seiner fertigen Ausbildung arbeitet er als Retoucheur im Atelier eines bekannten Portraiphotographen. Auch Martin Dibobe und Thomas George dürften Vielen bekannt sein. Martin Dibobe ist einer von den Kamerun-Negern der 1896er Kolonial-Ausstellung. Es gefiel ihm so gut in Berlin, daß er darum hat, hier bleiben zu dürfen und so brachte man ihn zu einem Schlosser in die Lehre. Nun hat der 28 jährige Schwarze Austellung als Zugführer beid er Hochbahn gefunden. Thomas George hat den wichtigen Posten eines “einleitenden Direktors” vor den Pforten der Amorsäle. Zu seinem tadellosen Gesellschaftsanzug, der den prächtig gewachsenen Mann vortrefflich kleidet, sieht George wie ein echter Gentleman aus. Kein Dämchen tripplet vorüber, ohne dem schwarzen Adonis einen schmachtenden Blick zuzuwerfen. Er sowohl, wie Martin Dibobe und James Allen sind mit weißen Frauen verheiratet, auch sind sie schon Väter mehr oder minder schwarz angehauchter Babies. Auch hierin haben es die in Europa lebenden Neger besser als die in Amerika. Dort nämlich sind gemischte Ehen zwischen Weißen und Schwarzen verpönt, im Süden sogar gesetzlich verboten.


Quelle: Berliner illustrierte Zeitung (15 July 1902)


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