Iwein wird verrückt und nimmt die Gestalt eines Mohren an (ca. 1200)

Um 1200 herum übernahm der deutsche Dichter Hartmann von Aue die Aufgabe der Nachdichtung des berühmten Artusromans Iwein von Chrétien de Troyes (ca. 1177). Hartmann war womöglich der berühmteste Dichter dieser Epoche, der Schriftstellern wie Wolfram von Eschenbach als Vorbild diente, und Iwein (ca. 1200) ist eines seiner meistgefeierten Werke. Es erzählt die Geschichte eines Ritters der Tafelrunde, der sich auf viele Suchen begeben und persönliche Härten überwinden muss, und gleichzeitig versucht seinen Verantwortungen als Ehemann gerecht zu werden. Im Verlauf der Geschichte übersteht er einen Zusammenbruch in den Wahnsinn und kann sich nur erholen, indem er seine miteinander konkurrierenden Verantwortungen ausgleicht.

Der Auszug hier erzählt die Geschichte von Iweins Kampf mit dem Wahnsinn, während er in dieser Zeit die zivilisierte Gesellschaft verlässt und als wilder Mann im Wald lebt. Auffallenderweise wird er so beschrieben, dass er das Aussehen eines Mohren annimmt, während er in die Wildheit versinkt. An der Oberfläche könnte dies als ein direkter Fall von pejorativer Assoziation mit Schwärze erscheinen, aber es gibt wichtige Nuancen zu berücksichtigen. Die bloße Idee der Zivilisation wurde in erster Linie durch Religion und Klasse definiert, sodass wilde Männer nicht einfach nur aufgrund ihrer Gewohnheiten wild waren, aber auch wegen ihrer Gottlosigkeit, während edle Heiden – oft mit dunkler Haut dargestellt – hohe Manieren haben konnten, aber trotzdem nicht als völlig gesittet betrachtet wurden. In der Tat gab es viele Narrative des Übertritts zum Christentum (und dadurch zur Zivilisation), die mit einer übernatürlichen physischen Verwandlung vom Schwarzen ins Weiße einhergingen. Daher verband Hartmann dadurch vielleicht diese zwei Verweise, um Iweins Wildheit hervorzuheben. Aber Ritterromane wie die von Hartmann waren sehr säkulare Werke und dadurch deuten andere Gelehrte eher auf mittelalterliche psychologische Theorien hin, bei denen das Ungleichgewicht der Gallenflüssigkeit, hier durch Iweins Haut sichtbar, als Ursache für Schwermut verstanden wurde.

Jeff Bowersox (übersetzt von M. Merdan and L. Gergely) 


English

Indem er von seiner Frau öffentlich zurückgewiesen wird, da er sie sie im Stich lässt und dadurch seinen ritterlichen Idealen nicht gerecht wird, verliert Iwein seinen Verstand und versucht so der menschlichen Gesellschaft zu entkommen. Er reißt sich die Kleider vom Leib und rennt nackt in die Wildnis und wird zu einem Narren, der sich durch seine Jagdkenntnisse ernährt und rohes Fleisch isst. Er trifft einen Einsiedler, der ihm sein Essen im Tausch gegen Felle kocht, aber ansonsten lebt Iwein sinnlos:

Er war ein Degen kühn bewährt,
In seiner Fassung nie gestört,
Und wie mannhaft er immer war,
Und wie unwandelbar
In seinem Leben und Sinne,
Doch bewältigt’ ihn Frau Minne,
Daß ihm ein schwaches Weib
Seele verkehrt’ und Leib.
Er, den man sonst recht als Demant
Aller Rittertugend erfand,
Lief nun umher gar balde
Als ein Verrückter im Walde.

So weilte der Unweise
Im Wald mit solcher Speise,
Bis endlich der edle Thor
Gebräunt ward wie ein Mohr
An seinem ganzen Leibe. –

Wenn ihm von theuerm Weibe
Viel Liebes sonst geschach;
Wenn er an hundert Speere brach,
Und Feuer aus den Helmen schlug,
Mit Mannheit aus dem Kampfe trug
Viel oft sich Dank und Preise, –
Wenn er einst höfisch war und weise,
Edlen Gemüths und reich,
Dem ist er nun viel wenig gleich.

Jetzt lief er ledig beider,
Der Sinne wie der Kleider,

Bis einst zu seiner Stunden
Schlafend ihn hatten gefunden
Drei Frauen wo er lag.
Es war um einen mitten Tag,
Nah in guter Maaße
Im Felde von der Straße
Auf der sie geritten waren.


Die drei Damen erkennen Iwein und eine erbarmt sich ihm, indem sie ihm eine magische Salbe bringt, die seinen Wahnsinn heilen kann. Sie strich es auf seinen nackten Körper, während er schlief, und versteckte sich dann. Als er erwachte, war er wieder geistig gesund, aber sein Aussehen brachte ihn dazu, sich darüber zu wundern, ob seine glorreiche Vergangenheit wahr oder nur ein Traum gewesen war:

Aufrichtet’ er sich alsbald,
Und als er schaut seine eigne Gestalt,
Und sich so schwarz und schrecklich sah,
Zu sich selber sprach er da:
»Bist Du’s Iwein? oder Wer?
Hab’ ich geschlafen bisher?
Weh, o weh’ mir, und ach!
Wär’ ich lieber noch nicht wach!
Denn im Traum ward mir gegeben
Ein viel reiches Heldenleben.

So fremd geworden war er sich,
Daß sein Gedächtniß ihm ganz entwich;
Und was er als Ritter errungen,
All’ seine Züg’ und Wanderungen,
Dies Alles sagt’ er sich nunmehr,
Sei von ihm nur geträumt vorher.
Er sprach: »Mich hat gelehret
Mein Traum, ich wäre geehret,
Könnt’ ich zu Waffen kommen.
Er hat mir meinen Stand genommen;
Denn ob ich ein armer Bauer bin,
Kämpft und turnirt mein ganzer Sinn.
Mein Herz ist meinem Leib ungleich,
Mein Leib ist arm, mein Herze reich.
War denn ein Traum mein ganzes Leben?
Oder wer hat mir gegeben
Solche Häßlichkeit und Ungestalt?
Ich ahnde die volle Kraft und Gewalt
Ritterlichen Muthes;
Zwar an Schönheit und Fülle des Gutes
Fehlt es durchaus mir leider!«
Als er die frischen Kleider
Zur einen Seite ihm liegen sach,
Wundert’ ihn das und er sprach:
»Dies sind Kleider wie ich genug
Sie oft in meinem Traume trug;
Ich sehe hier Keinen, weß mögen sie sein?
Ich bedarf ihrer sehr; gut, die sind mein.
Ob ich sie wohl auch tragen kann?
Denn vormahls stand mir herrlich an
In meinem Traume reich Gewand.«
Also kleidet er sich zuhand,
Und als er bedeckt die schwarzen Glieder,
Da glich er einem Ritter wieder.


Die Frau, die ihm die Salbe brachte, hatte sich versteckt, und als es so schien, dass Iwein wieder der Alte war, bot sie ihm an, ihn zu ihrer Dame zu bringen, damit er sich erholen konnte:

Nun führte sie ihn hindann
Zu ihrer Frau, der nie ein Mann
Also willkommen war.
Man schuf ihm gute Pfleg’ alldar
An Kleidern, Speisen und Baden,
Bis daß all’ sein Schaden
Kaum noch an ihm erschien.
Hier hatt’ Herr Iwein alle Müh’n
Und Drangsal überwunden,
Und gute Wirthin funden.

So fand Herr Iwein Pfleg’ und Rast,
Bis ihm die wilde Farbe erblaßt,
Und ward, wie vor, ein schöner Mann.


Source: Hartmut von Aue, Iwein mit dem Löwen, translated by Wolf Graffen von Baudissen (Berlin: Alexander Duncker, 1845), 3249-3697. Courtesy of Project Gutenberg.


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Iwein wird verrückt und nimmt die Gestalt eines Mohren an (ca. 1200) by Jeff Bowersox and Lilian Gergely is licensed under a Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International License.
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