Parzival: Ein “mixed-race” Ritter tritt der Tafelrunde bei (ca. frühe 1200er Jahre)

Das Heldengedicht Parzival von Wolfram von Eschenbach (ca. 1170-1220) ist eines der größten Werke der mittelalterlichen Literatur. Die Geschichte befasst sich hauptsächlich mit Parzival, dem Sohn von Gamuret (oder Gahmuret), der sich der Gralssuche anschließt. Wolfram verwendet , um ein galantes und ritterliches Vorbild zu gestalten, während er auch prägnante und geistreiche Erläuterungen über die zeitgenössische Gesellschaft liefert. Seine Qualität kann anhand seines dauerhaften Einflusses auf vor allem Schriftsteller und Komponisten des neunzehnten Jahrhunderts, am erwähnenswertesten Richard Wagner, gesehen werden.

Die nachstehenden Auszüge stammen aus dem Buch 15, welches in die Gralslegende einführt. Parzival trifft auf den heidnischen Ritter und sie bekämpfen einander bis zu einem Unentschieden, bevor sie ihre gemeinsame Herkunft entdecken. Die Halbbrüder schließen sich danach Artus‘ Tafelrunde an und gehen auf die Gralssuche.

Wie mit Erzählungen der Sarazenenbrüder Ritter Safir, Ritter Palamedes, und Ritter Segwarides und dem maurischen Ritter Morien, spiegelt die Einarbeitung Ritter in die Artuslegende nicht nur die Präsenz von Schwarzen Soldaten in Europa wider, sondern zeigt auch, wie sich christliche Schriftsteller mit der Begegnung mit dem Islam auseinandersetzten und auf ferne Länder hofften, die zum Übertritt zum Christentum offen waren.

Jeff Bowersox (übersetzt von Lilian Gergely)


English

Parzival ritt balde
Vor einem großen Walde
Auf wüst gelichteten Wegen
Einem reichen Gast entgegen.
Ein Wunder, wenn ich armer Mann
Den Reichtum euch vermelden kann,
Den der Heid an seiner Rüstung trug.
Sag ich davon mehr als genug,
Doch muß ich mehr davon erzählen,
Will ich das Meiste nicht verhehlen.
Wie großen Zins Artusens Hand
Bretagne zollt und Engelland,
Damit bezahlt’ er nicht die Steine,
Die der Held mit lichtem Scheine
Auf seinem Wappenkleide trug.

Der kühne Knabe, den wir trafen,
Hatt in einem wilden Hafen
Bei dem Wald geankert auf dem Meere.
Er hatte fünfundzwanzig Heere,
Keins kann das andere verstehn:
Wie weit muß seine Herschaft gehn!
So groß auch ist der Länder Zahl,
Die ihm dienen allzumal;
Mohren, Sarazenen meist,
Deren Haut in manchen Farben gleisst.
In seinem weitgesammelten Heer
Sah man viel wunderliche Wehr.

Allein auf Abenteur hindann
Von seinem Heer ritt dieser Mann,
Im grünen Wald sich umzuschaun.
Da sie sich selber so vertraun,
Laß ich die Könge reiten,
Sich Preis allein erstreiten.
Zwar Parzival ritt nicht allein,
Denn ihm waren im Verein
Er selbst und auch sein hoher Muth,
Der seine Wehr so mannlich thut,
Daß es die Frauen müßen loben,
Sie wollten freveln denn und toben.

Hier rennen aufeinander blind
Die an Demuth Lämmer sind
Und Löwen an Verwegenheit.

Die Arme schwangen sich mit Kunst,
Aus den Helmen lohte Brunst,
Von ihren Schwertern fuhr der Wind.
Gott schütze Gachmuretens Kind!
Der Wunsch gilt ihnen beiden,
Dem Getauften und dem Heiden:
Denn ich rechne sie für Einen.
Sie würdens selber meinen,
Wären sie sich recht bekannt:
Sie setzten nicht so viel zu Pfand:
Denn nicht minder gilt ihr Streit
Als Ehre, Freude, Seligkeit.
Wer auch hier den Preis gewinnt,
Doch hat er, wenn er Treue minnt,
Die Freude dieser Welt verloren
Und dauernd Herzeleid erkoren.

Der kühne Fürst der Heiden
Sprach da bescheiden
Auf französisch, das er wohl verstund,
Aus seinem heidnischen Mund:
»Wohl seh ich, wehrlicher Mann,
Dein Streit würd ohne Schwert gethan:
Wie erwürb ich dann wohl Preis an dir?
Steh still und sage mir,
Wer du seist, wehrlicher Held.
Fürwahr, du hättest mich gefällt
Und mir den alten Preis entrungen,
Wär dir nicht dein Schwert zersprungen.
Ein Friede gelt uns beiden nun.
Daß wir uns die Glieder ruhn.«
Sie setzten nieder sich aufs Gras.
Jedweder Kraft und Zucht besaß,
Die auch zum Kampf nicht waren
Zu jung, zu alt an Jahren.

Zum Getauften sprach der Heide da:
»Glaube, werther Held, ich sah
Nie im Leben, daß ein Mann
Würdger war, dem Preis zu nahn,
Den man im Streite soll erjagen.
Held, nun geruhe mir zu sagen
Deinen Namen, dein Geschlecht:
So freut mich meine Fahrt erst recht.«
Herzeleidens Sohn versetzt:
»Nennt’ ich die aus Furcht dir jetzt?
Das darfst du nicht von mir begehren:
Gezwungen werd ich nichts gewähren.«
Doch von Thasme sprach der Heide:
»Ich will zuerst dir nennen beide;
Sei immerhin die Schande mein.
Ich bin Feirefiss Anschewein
Und wohl so reich, daß meiner Hand
Zinsbar dient manches Land.«

Als diese Rede geschah,
Zu dem Heiden sprach der Waleis da:
»Woher seid ihr ein Anschewein?
Anschaun heißt das Erbe mein
Mit Burgen, Land und Städten.
Darum seid, Herr, gebeten,
Andern Namen zu erküren.
Sollt ich mein Land verlieren
Und die werthe Stadt Bealzenan,
Das hieße mir Gewalt gethan.
Ist Einer hier ein Anschewein,
Von Geburt soll ich es sein.
Doch ward mir für gewiss gesagt,
Es wohn ein Degen unverzagt
Fern dort in der Heidenschaft,
Der stäts mit ritterlicher Kraft
Gewonnen habe Preis und Minne
Und allewege noch gewinne.
Der ist zum Bruder mir geboren
Und dort zum höchsten Preis erkoren.«

Parzival fährt fort und spricht:
»Herr, euer Angesicht,
Ließet ihr mich das erschauen,
So wollt ich euch vertrauen,
Wie mir seins beschrieben ist.
Wenn es, Herr, euch nicht verdrießt,
So entblößet euer Haupt.
Euch verschont derweil, das glaubt,
Meine Hand mit allem Streit,
Bis ihr aufs Neu gehelmet seid.«

Da sprach der heidnische Mann:
»Wenig ficht dein Streit mich an.
Und wär ich nackt, ich hab ein Schwert:
Der Unsieg wär dir doch gewährt,
Da dein Schwert zerbrochen ist.
Weder Kühnheit, Kunst noch List
Kann dich vor dem Tod bewahren,
Will ich nicht selbst dein Leben sparen.
Wolltest du mit mir ringen,
Mein Schwert ließ’ ich klingen
Dir durch Eisen, Bein und Mark.«
Dieser Heide schnell und stark,
Edle Sitte zeigt’ er hier:
»Dieß Schwert sei weder dir noch mir.«
Der kühne Degen warfs alsbald
Ferne von sich in den Wald.
Er sprach: »Nun ist auf beiden Seiten
Gleich die Gefahr, wenn wir noch streiten.«

Der reiche Feirefiss begann:
»Held, bei deiner Zucht, sag an,
Da dir ein Bruder leben soll,
Wie sieht der aus? du weist es wohl.
Beschreibe mir sein Angesicht;
Seine Farbe hehlte man dir nicht.«
Da sprach, den Herzeleid gebar:
»Wie beschrieben Pergament fürwahr,
Schwarz und weiß dort und hier;
Ekuba beschrieb ihn mir.«
»Der bin ich,« versetzt der Heide.
Nicht lange säumten sie da beide,
Feirefiss und Parzival,
Von Helm und Härsenier zumal
Entblößten sie sich gleich zur Stund.
Parzival fand lieben Fund,
Den liebsten, den er jemals fand.
Den Heiden hatt er bald erkannt
Sein Antlitz zeigte Elsternfarben.
Haß und Groll im Kuss erstarben
Dem Getauften und dem Heiden.

Freundschaft ziemt’ auch beßer Beiden,
Denn ihnen stünde Haß und Neid.
Treu und Liebe schied den Streit.
Mit Freuden sprach der Heide da:
»O wohl mir, daß ich dich ersah,
Sohn Gachmurets, des werthen Degen!
Dank meinen Göttern allerwegen!
Meiner Göttin Juno [
Preis und Dank, sie fügt’ es so!
Mein starker Gott Jupiter,
Von ihm kommt dieses Heil mir her.
Götter all und Göttinnen,
Eure Stärke will ich immer minnen!
Hochgepriesen sei der Stern,
Bei dessen Schein hieher so fern
Meine Reise ward gethan
Zu dir, du schrecklich süßer Mann,
Die mich durch deine Kraft gereute.
Heil der Luft, dem Thau, der heute
Niederfiel und kühlte mich,
Minneschlüßel wonniglich!
Dem Weibe Wohl, die dich soll sehn:
Wie ist der schon ein Heil geschehn!«

Als sie die Rüstung abgethan,
Da schauten diesen bunten Mann
Alle mit Verwunderung:
Denn Wunders sahn sie da genung:
Der Heide trug manch seltsam Mal.
Gawan sprach zu Parzival:
»Freund, wer ist der Geselle dein?
Er trägt so wunderlichen Schein,
Daß ich nie dem Gleiches sah.«
Zu dem Wirthe sprach der Waleis da:
»Bin ich dein Freund, so ists auch er,
Des sei dir Gachmuret Gewähr:
Der König ists von Zaßamank.
Mein Vater dort mit Preis errang
Seine Mutter, Belakanen.«
Da ward er sattsam von Gawanen
Geküsst. Viel schwarz und weiße Flecken
Sah man Feirefissen decken
All die Haut, nur daß der Mund
Halber Röthe machte kund.

Artus saß zu Feirefiss,
Wo Jedweder sich befliß,
Auf des Andern Fragen
Freundlich Antwort zu sagen.
Artus sprach: »Gelobt sei Gott,
Daß er diese Ehr uns bot,
Daß wir dich hier bei uns sahn.
Aus der Heidenschaft fuhr nie ein Mann
Her in der Getauften Land,
Dem ich mit dienstbereiter Hand
So gerne Dienst gewährte,
Wenn dein Wille des begehrte.«
Feirefiss zu Artus sprach:
»Vorbei ist all mein Ungemach,
Seit Juno meine Göttin
Mir den Segelwind verliehn
Her in dieses Westenreich.
Du siehst fürwahr dem Manne gleich,
Dessen Macht und Würdigkeit
Der Ruhm posaunte weit und breit.
Bist du Artus genannt,
So ist dein Name fern begannt.«

Artus berieth ein Festgelag,
Das man schon am andern Tag
Auf dem Feld begehen sollte,
Weil er damit empfangen wollte
Seinen Neffen, Feirefissen:
»Das zu bestellen seid beflißen
Mit euerm besten Witze,
Daß er mit uns sitze
An der edeln Tafelrunde.«
Sie versprachens all aus Einem Munde
Zu thun, wofern es ihm nicht leid.
Da verhieß Geselligkeit
Ihnen Feirefiss der Degen reich.
Nach dem Nachttrunk fuhr sogleich
Zu seiner Ruhe Jedermann.
Die Freude brach für Manchen an
Am Morgen, darf ich also sagen,
Da der süße Tag begann zu tagen.


Source:  Wolfram von Eschenbach, Parzival and Titurel: Rittergedichte, trans. by Karl Simrock (Stuttgart: Verlag der J.G. Cotta’schen Buchhandlung, 1883).


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