Ein “Mixed-race” Kind versucht sich anzupassen (1839)

J. C. Biernatzkis 1839 erschienener Roman Der Braune Knabe war in erster Linie ein theologisches Traktat mit einer stark antikatholischen Neigung, aber er benutzt eine Kritik gegen Rassismus und die amerikanische Sklaverei als Werkzeug, um seine Argumente zum Glauben zu äußern. Der Roman ist bemerkenswert, da er der einzige deutsche Roman der Zeit ist, der sowohl eine “interracial” Beziehung als auch das Kind dieser Vereinigung positiv darstellt. Das fragliche Kind, benannt nach ihrer Mutter Carridoja, wird von ihrem Maroon Großvater, einem geflohenen Sklaven, aufgezogen, nachdem weiße Plantagenbesitzer ihre Mutter ermordet haben. Als er gefangen genommen und hingerichtet wird, wird sie von Walters Freundin, Therese Sorring, adoptiert, die ihre eigene Plantage betreibt. Carridojas starker Wille und kompromisslose Ablehnung der Sklaverei erfordern, dass sie von Louisiana nach Europa geschickt wird. Während sie bei Thereses Verwandten lebt, findet sie sich einen Weg, als Junge verkleidet, in den Dienst von Walters Freund Urban und verliebt sich in ihn. Sie wird von Jesuiten als Teil eines komplizierten Plans entführt, um Walter für den katholischen Glauben zu gewinnen, und nachdem sie gerettet wird, offenbart sie sich ihrem geliebten Urban auf seinem Sterbebett. Sie macht ihm eine Liebeserklärung, er weist sie zurück, und sie beschließt, eine Nonne zu werden.

Sie zieht sich in ein Kloster zurück, weil sie Urbans Protestantismus für die Ablehnung verantwortlich macht, aber auch, wie man annimmt, weil Biernatzki keinen besseren Weg finden kann, die Spannung durch die Anwesenheit eines “mixed-race” Kindes zu lösen. Die Ambivalenz des Schriftstellers über ihr Geschlecht, ihre Rasse und ihre nationale Identität und insbesondere die Annahme, dass sie sich in Deutschland nicht zu Hause fühlen kann, zeigen, wie schwierig es selbst für verständnisvolle und aufgeschlossene weiße deutsche Autoren war, sich eine nicht-weiße Deutsche vorzustellen.

Jeff Bowersox (übersetzt von Lilian Gergely)


English

Während er seine Geschichte seinem Freund Urban erzählt, ist Walter über das plötzliche Erscheinen eines schönen „Jungen” mit einer Mandoline erstaunt. Seine gelbe Haut erinnert Walter an die „Mulatten” Amerikas, aber er widersteht dem Impuls, dieses Kind zu lieben. Er versucht, den Jungen als Außenseiter (einen „Zigeuner”) abzuschreiben, bevor er von der „rein deutschen” und leisen Stimme des Kindes überwältigt wird. Wie das Thema von Toxi (LINK) deutet das Kinderlied einer verlorenen Heimat vorher auf ihr ultimatives Schicksal hin.

Lange hätte vielleicht Walter sich seinen ungewohnten Betrachtungen überlassen, wenn nicht eine wunderbare Erscheinung seine ganze Aufmerksamkeit gefesselt. Aus dem Dunkel der Tannen trat ein Knabe mit einer Art Mandoline im Arm. Seine Gestalt war leicht und zart gebaut, doch sprach sich in Haltung und Bewegung Gewandtheit und Kräftigkeit aus. Die Farbe seiner Haut war das Gelb, welches Waltern and die Mulatten Amerika’s erinnerte, aber alle Formen und Züge des Gesichts ein Bild der lieblichen, sanftesten Schönheit. Dies bemerkte der erstaunte Beobachter, als der Knabe schüchtern umherblickte, wie ein scheues Reh, eh’ es an der Quelle sich niderläßt. Walter hatte sich ganz zuruuckgebogen, um nicht bemerkt zu werden, und danket dem Ginsterstrauch, der ihn verbarg, und durch dessen Blätter er mit der gespannten Neugier die Erscheinung betrachtete. Graue weite Pantalons, eine hellblaue Jacke, zwischen der die Streifen einer rothen Weste durschimmerten, und um den Kopf ein gelb und blau gestreiftes, seidnes Tuch gewunden, dessen Enden auf die Schultern herabfielen; das war die Kleidung des Fremden.

“Vermutlich,” dachte Walter, “ein Ziegeunerknabe;” und um sich gleichsam den Eindruck, den das unerwartete Erscheinen desselben auf ihn gemacht, zu zerstören, setzte er in Gedanken hinzu: “der sich seiner hübschen Gestalt bewußt ist und sich desto gefallsüchtiger herausputzt. Sie nur, wie rein und sauber der weiße Halskragen ist!”

Der Knabe trat auf einen Vorsprung, und schien bei seinem Blick in’s Thal hinunter von denselben Betrachtungen bewegt zu werden die eben Walters Brust erfüllt hatten. Wenigstenst sah er lange schweigend zu den Hütten der Menschen hinab, und nur wie in Vergessenheit glitten zuweilen seine Finger an den Saiten seiner Mandoline nieder, einzelne Accorde ihr entlockend. Walter wollte schon dem Fremdling entgegentreten, als dieser, rascheren Fingers durch die Saiten fahrend, sich niederließ, und nach einigen volleren Tönen in eine weiche, schmelzende Melodie überging, die er mit einem Gesange begleitete, bei dem der erstaunte Zuhörer, nur über den räthselvollen Inhalt, die reine Deutsche Sprache und die schöne sanfte Stimme des Sängers vergaß.

Wo ich hause, wo ich heime,
Dort im Dorfe, hier im Forst,
Unter Lämmern bei der Huurde,
Oder in des Adlers Horst;

Ueber Meeren, wo die Ströme
Kämpfen mit den Ocean,
Oder hier, woe Kieselbäche
Wässern kaum den Wiesenplan:

Ueberall, ob fern, ob nahe,
Ueberall ein Ja und Nein;
Jede Fremde meine Heimath,
Ach! und keine Heimath mein.

Zög’ ich mit den Sternen droben,
Spielt’ ich auf der Bluenflur:
Bei den Sternen wär’ ich Fremdling,
Bei den Blumen Fremdling nur.

Unter allen Menschenkindern
Keins, das mich versteht und liebt;
Unter allen Sprachen keine,
Die ein trautes Wort mir giebt.

Nur aus feinen blauen Augen
Blickt es heimathlich mich an,
Und den überall Verbannten
Kettet er mit festem Bann.

Ja, die Heimath ist gefunden; –
Doch sie selbst weiß Nicht von mir,
Und verstoßen, und werwaiset
Bin ich nah’, doch fern von ihr. –

Zu des Pilgers klaren Blicken
Lächelt auf des Veilchens Gruß,
Endlich fand es seine Farbe,
Und — da knickt es hin sein Fuß.


Als Urban tödlich erkrankt, kommt der „Junge” Carridoja, um Walter zu finden, und wir erhalten einen kurzen Einblick in ihren Charakter. Sie ist verzweifelt über die Aussicht, ihren Geliebten zu verlieren, und sie ist von der Idee angetan, dass alles besser gewesen wäre, wenn sie nach Amerika gegangen wären. Walter, der von seinen Erfahrungen desillusioniert worden war, weist ihre Idee zurück, aber für Carridoja, die gezwungen ist, sich zu verkleiden und im Verborgenen zu lieben, stellt Amerika einen Ort dar, an dem sie frei sein wird, offen zu lieben.

Da trat am dritten Morgen unerwartet der braune Knabe in das Zimmer des nur mit dem Gedanken an seine Tochter Beschäftigen. Seine Miene war traurig und Thränen rollten über seine Wangen, als er zu Walter sagte:

“Urban ist krank und wünschte Sie zu sprechen.”

“Urban krank!” rief Walter. “Gefährlich?”

“Wir haben hier keinen Arzt, denn wir uns anvertrauen könnten,” erwiederte Jener. “Ich wußte wohl,” fuhr er schluchzend fort, “daß er den Sorgen und Anstrengungen seines Berufs in diesem Lande nicht gewachsen sei. Warum ließen Sie uns nicht nach Amerika ziehen?”

“Nach dem Lande der Täuschungen und der Selbsucht?” vertheidigte sich Walter.

“Nach dem Lande der Freiheit und der Lie-.” Der Knabe stockte plötzlich mit hochaufglühenden Wangen in dieser Antwort und fügte schnell hinzu: “Kommen Sie! Urban wartet.”


Als Therese Carridoja aufnimmt, wird sie mit einem Problem konfrontiert. Das Mädchen war frei aufgewachsen, lebte in der Wildnis und kämpfte gegen Plantagenbesitzer, und jetzt sollte sie „zivilisiert” werden. Ihre entschiedene Ablehnung der Sklaverei, obwohl sie auf Thereses Plantage mit weniger Tyrannei praktiziert wurde, war eine Provokation unter den Plantagen von Louisiana und verlangte, dass sie nach Europa geschickt wurde. Während sie bei Thereses Verwandten wohnt, verliebt sie sich in Urban. Diese Liebe zähmt ihren wilden Geist, und sie nimmt das entsprechend ernüchternde Verhalten eines Mädchens aus der Mittelschicht an.

Die kleine Carridoja wurde nun in allen den Abhärtungen, Listen,  und Geschicklichkeiten erzogen, die sie zu einer kriegerischen Königing der Marronneger bilden sollten bis Sie zu jenen [ihres Großvaters] Ueberfall der Weißen in die Gefangenschaft kam. Die Liebe zu seiner Enkelin, die Hoffnung ihr das Leben und, wo möglich, auch die Freiheit zu retten, bewog den Alten, sich dem Missionair zu offenbaren, und dieser konnte, im Vertrauen auf Theresen’s Gutmüthigkeit, ihn über das Schicksal Carridoja’s völlig beruhigen.  … Mit Freuden übernahm [Therese] es, die Mutterstelle bei der Verwaisten zu vertreten; aber so sehr auch Therese alle ihre Liebe und Sorgfalt dem ihr um Walter’s willen so werthen Mädchen zuwandte, so war es doch eine schwere Aufgabe, die Kleine nur einigermaßen zu civilisieren. Freilich faßte diese leicht alles Neue auf, machte sehr rasche Fortschritte in vielerlei Geschicklichkeiten: nur war und blieb ihr jede weibliche Uebung ein Gräuel. Selbst an die Kleidung ihres Geschlechts wollte sie sich durchaus nicht gewöhnen; und seitdem sie einmal bemerkt, in welcher Angst Therese gewesen war, als die kleine Wilde drei Tage lang in den Wäldern umhergeschweift hatte, drohte sie bei jedem Versuch, sie als Mädchen erscheinen zu lassen, mit der Flucht in die Wildniß auf Nimmerwiedersehen.

So wurde sie dreizehn Jarhe alt, und jetzt zeigte sich eine neue Verlegenheit für Therese. Carridoja hatte bisher wohl ihre Abneigung gegen die Herrschaft der Weißen und ihre Zuneigung für die Sklaven rücksichtslos ausgesprochen; aber nun fing sie an, trotzig das Recht der Letztern zu verfechten, jeden Neger, der geduldig arbeitete, für einen Feigen, und jeden Aufseher, obwohl diese auf Theresen’s Pflanzungen keinesweges sich die sonst gewöhnlichen Härten erlauben durften, für einen Thyrannen zu schelten. Vielleicht hätten ihre Worte weiter keinen Eindruck gemacht, als Worte eines Kindes; allein zu diesen Reden kam der für die Neger verführerische Anblick eines Wesens, das doch halb aus ihrem Blute stammte, und das in wilder, ungebundener Freiheit umherscheifte und selbst ihre Gebieterin unumschränkt behrrschte, weil Theresen’s nachsichtige Liebe nicht diesem unbändigen Geiste wachsen war.

Carridoja …würde [Thereses] Verwandten durch obrigkeitliche Fürsorge zugesandt. Hier lebte sie in der ersten Zeit ganz nach alter Weise. Wald und Berg durchstreifte sie mit dem flüchtigen Reh in die Wette, und kein noch so reißender Strom hielt sie in ihren Wanderungen auf. Die Familie, bei der sie war, mußte den schädlichen Einfluß Carridoja’s auf die Kinder fürchten, und freute sich nur darüber, wenn die halbwilde recht oft lange wegblieb. Niemand bekümmerte sich zuletzt mehr um sie und ihr unstetes Treiben, nachdem die ersten Versuche, sie den Sitten und Gewohnheiten ihres Geschlechts und des Landes, in dem sie nun lebte, zu unterwerfen, gänzlich fehlgeschlagen waren. So fand Frau von Gorring, als auch sie aus Amerka heimkehrte, ihre Pflegetochter. Desto mehr war sie verwundert, als einen Monat später die ganze Natur des Mädchens wie umgewandelt erschien. Ihre störrische Wildheit ging in jene träumerische Weichheit und Milde über, die Denen eigen sind, welche mit tiefer Sehnsucht von einem Gegenstand ergriffen werden, der sich ihren Wünschen und Hoffnungen als ein unerreichbares Ziel darstellt, und in dem sie doch ihr alleiniges Lebensglück erkennen. Länger und öfter als je streifte sie freilich noch in der Umgegend umher, aber immer stiller und in sich gekehrter kam sie zurück. Drängte Therese sie mit Fragen, dann warf sie sich mit heißen Thränen an deren Brust; aber nie war sie zu einer Antwort zu bewegen. In den Tagen, daß sie zu Hause blieb, übte sie sich sogar in weiblichen Handarbeiten, gegen welche sie sonst immer einen so heftigen Widerwillen gehabt, und weinte und schluchzte, wenn es ihr damit nicht gelingen wollte. Ja, Therese überraschte sie sogar einmal, als sie in Kleidern ihres Geschlechtes vor dem Spiegel stand; aber auf die Bitte, nun diese Kleidung auch ferner zu tragen, antwortete sie nur mit einem Thränenstrom und seuftze: “Ach! dürft’ ich es! Ich darf aber nicht; noch nicht.”

Erst Walter’s Mittheilung ließen diese Aenderung in dem Wesen und Benehmen Carridoja’s wohl richtig auf die Leidenschaft für Urban deuten. Auch Therese hatte schon auf eine geheime Neigung geschlossen, und gewiß mußte die Liebe auf eine solche wilde und ungezähmte Natur die überraschendste Gewalt ausüben.


Nachdem sie vor Jesuiten Entführern gerettet und vom Rande des Todes zurückgebracht wird, kehrt Carridoja an Urbans Sterbebett zurück und macht ihm eine Liebeserklärung. Er lehnt sie strikt ab und schlägt vor, dass sie ihn nicht mit ihren Leidenschaften ablenkt, wenn er versucht, seine Seele auf den Tod vorzubereiten. Carridoja ist verzweifelt und macht Urbans protestantischen Glauben dafür verantwortlich, ihn davon abzuhalten, sie zu lieben. Am Ende haben ihre Leidenschaften sie vom wahren Glauben fortgetrieben, und Walter ist verzweifelt, dass er ihr Leben gerettet, sie aber an die katholische Kirche verloren hatte.

Da rauschte es an seiner Seite, als ob Jemand niederkniee an seinem Bette. Urban, dessen umslorte Augen nicht mehr deutlich unterschieden, ließ die Hand herabsinken. Er glaubte, ein Freund wünsche noch den letzten Abschied zu nehmen. Aber glühende Küsse und heiße Thränen, die seine Hand augenblicklich bedeckten, und ein Schluchzen und Stöhnen des tiefsten Schmerzes rissen ihn gewaltsam auf aus seiner Ruhe.

“Carridoja!” sagte er verwunderst. “Was willst Du noch von mir?” denn sie war es, die an seinem Lager kniete.

“Du darfst nicht sterben!” rief sie mit leidenschaftlichem Ungestüm. “Du darfst mich nicht verlassen! Du bist mein; ich habe Dich erkauft mit meinem Herzblut, und ohne Dich kenne ich keine Erde und keinen Himmel.”

“Unselige! Muß Deine thörische Leidenschaft mich noch verfolgen bis and die äußerste Schwelle des Grabes?”

Mit diesen Worten versuchte Urban ihr seine Hand zu entziehen; sie aber hielt krampfhaft daran fest:

“Ich lasse Dich nicht. Ich kämpfe mit dem Tode um die Beute und will überwinden. Urban,” fuhr sie wehmütig und flehend fort: “Urban, Du hast ja Liebe für Alle, warum nur für mich nicht? Du bist ja so Vielen ein Segen gewesen, warum mir nur ein Fluch? Hab ich Dir nicht gedient, wie eine Magd? Bin ich Dir nicht nachgegangen wie ein Hündlein? Habe ich nicht für Dich gewacht auf dem harten Felsen in Sturm und Regen? Hat die Liebe zu Dir mich nicht gejagt über Abgründe und reißende Wasser? Bin ich nicht Dein Schutz gewesen auf allen Deinen Wegen, eine Hülfe Dir, wenn Alle Dich verlassen hatten? War nicht meine Warnung vor Gefahren immer die erste, und meine Rettung immer die letzte? Und was hast Du mir für dies Alles geboten? Wo mein Auge glühte und mein Herz brannte, da warst Du kalt und strenge. Wo meine Thränen flossen, da wandtest du Dich ab und gingst hin Andere zu trösten. Jeder Tag brachte mir neue Verachtung und Verwerfung. du freutest Dich der Liebe Aller, nur meine Liebe wolltest Du nicht. Du wußtest Aller Herzen zu erforschen, nur für mich, für meine Hingebung hattest Du nicht Auge und Sinne. Ich allein blieb Dir ein Fremdling. Doch habe ich jegliche Demüthigung sklavisch, stumm und willig ertragen. Der geringste Brosamen Deiner, nur gegen mich kargen, Freundlichkeit war mir schon eine Seligkeit. Urban,” schloß sie, wieder heftiger werdend, “Du bist Dich mir schuldig. Ich habe Dir meine Seele verpfändet; Ein Blick von Dir kann sie lösen. Urban, ich warte auf diesen Blick; ich kann nicht sterben mit dem Bewußtsein, von Dir verschmäht zu sein; ich kann Dich nicht sterben lassen ohne ein Zeichen nur, daß Du mein liebend Herz verstanden.”

“Carridoja!,” erwiederte Urban mit bebender Stimme, schaudernd vor dem Abgrund der Leidenschaft, der sich ihm enthüllte; “mein Gebein ist dem Tode verfallen, und meine Seele gehört Dem, der das Leben giebt und nimmt allein nach Seinem Willen. Geh’ und gedenke, daß auch Du Deine Seele schuldig bist Dem, der unsre erste und höchste Liebe für Sich fordert. Geh’, der Herr wartet mein, und droben freuen sich schon des Wiedersehens meine Gattin und meine Kinder. Geh’, geh’! Der Herr schaffe in Dir ein reines Herz und gebe Dir einen neuen, gewissen Geist, und lehre Dich thun, nach seinem heiligen Wohlgefallen.”

“Du bist grausam, Urban, tödlich grausam!” stöhnte Carridoja, und die Adern ihrer Brust rissen sich wieder auf; sie sank in ihrem Blute schwimmend an seinem Lager nieder.

Carridoja’s Zustand zeigte noch Spuren des Lebens. Ihre starke Natur half auch wirklich noch einmal den Tod überwinden. Doch dauerte es mehre Monde, ehe ihre Seele frei wurde von irren Träumen.

“Ich habe ihn nicht getötet. Er hat mich gemordet. Er kann nur Die lieben, die im Grabe modern:” das blieb lange Zeit hindurch ihr eingizes Wort, nachdem es am Tage der Beerdigung Urban’s, die der Verhältnisse wegen so still und prunklos, wie möglich, nur mit Begleitung Walter’s und weniger Getreuen vor sich ging, zuerst von ihren bisher stummen Lippen gekommen war.

Daß sie nie ihre Gesundheit ganz wieder erhalten würde, ließ sich vorausehen, und daher konnten sich Walter und Therese auch nicht so sehr ihrer allmäligen Besserung erfreuen, da zugleich ihr geistiger Zustand noch immer an jene verzehrende Leidenschaft erinnerte. Besonders aber bekümmerte beide Carridoja’s Widerwillen gegen die Kirche, welcher sie nun angehörte. Es war, als ob sie es allein den strengen Grundsätzen dieser Kirche zuschrieb, daß Urban ihre Neigung unerwiedert gelassen. Vergebens suchte Walter durch wissenschaftliche Erörterung, Therese durch fromme Betrachtungen diesen Haß zu überwinden; sie setzte Beiden die eifrigste Beobachtung aller Gebote und Gebräuche der katholischen Kirche entgegen und erklärte endlich ihren festen Entschluß, den kurzen Rest ihrer Erdentage in Ursulinerkloster zu Prag zu verbringen. Walter, noch erfüllt von den Erfahrungen, die er gemacht, noch beseelt von dem ersten Feuereifer für die in ihrem ganzen Segensreichthum neuerkannten Lehre, und darum tief erschüttert von dem Gedanken, eine Tochter dahin ganz in den Schooß der Kirche geben zu sollen, aus der für ihn so viel Unheil erwachsen, wiedersprach mit aller Macht. Therese, deren Urtheil, so entschieden es auch für die evangelische Wahrheit zeugte, doch von weiblicher Milde geleitete wurde, gewöhnte sich leichter daran, den Vorsatz Carridoja’s als unabänderlich zu betrachten. Und war diese nicht schon eine Nonne? Sie trug seit ihrer Rückkehr von Prag nur weibliche Kleidung, und seit Urban’s Tode wollte sie von keiner andern, als von schwarzer Farbe wissen. Das Haus verließ sie fast nicht, und kaum ihr Zimmer, welches sie zu einer Betzelle eingerichtet, und darin sich immer mehr in geistliche Uebungen vertiefte. Unter den Katholiken der Umgegend verbreiteten sich allerlei Gerüchte von einer neuen Heiligen, und es fehlte halb auch nicht an Sagen, die von einem Märtherthum derselben bei den protestantisch gewordenen Eltern Vielerlei zu erzählen wußten.

Walter schwanket.

Walter hörte beim Abschied noch einmal und zum letzten Male ein Wort kindlicher Liebe.

“Vater!” rief Carridoja und schlang die Arme um seinen Hals, “leb’ wohl, leb’ wohl!” Ich danke Dir nun erst mein Leben. Du hast mein Herz nicht brechen wollen, wie Er! – Grüße meine Pflegemutter, danke ihr für ihre Liebe, ich habe nun eine andere gefunden, der ich fortan an gehöre. Lebt wohl!”


Quelle: J. C. Biernatzki, Der braune Knabe, oder die Gemeinden in der Zerstreuung, Teil 1, in J. C. Biernatzkis Versammelte Schriften Vol. 5 (Altona: Hammerich’s Separat-Conto, 1850), 108-111, 140; Teil 2, Vol. 6, 174-176; Teil 3, Vol. 7, 14-16,  .


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