J. G. Zimmermann schwelgt in Vorurteilen, während er Vorurteile verspottet (1783)

Das 1758 erschienene Buch Vom Nationalstolze des Schweizer Schriftstellers Johann Georg Zimmermann war ein Bestseller der Aufklärung, weil es alle Nationen der Welt, von Europa bis Japan, von der Arktis bis ins Feuerland, rücksichtslos und geistreich aufspießte. Bei den Nachforschungen nach den Ursprüngen und der Natur von Vorurteilen gegen Ausländer, legte Zimmermann die Schuld einer gewissen provinzialistischen Selbstachtung zu Füßen, die unbedachte Stereotypen vermehrte. In dem Glauben, dass die eigene Kultur, Religion und Geschichte unter allen am besten sei und dass die anderer im Vergleich dazu verblassen müssen, da wie er es ausdrückte: „Die Brille der Selbstachtung sitzt auf den Nasen jeder Nation.“ In diesem Sinne ist das Buch ein herausragendes Beispiel für den Universalismus der Aufklärung, eine Manifestation der Suche nach dem wesentlich Menschlichem gegenüber allen Arten von kulturellen Unterschieden. Aber selbst als er die Griechen verspottete, weil sie sich für die Mutter aller Nationen hielten, die Italiener, weil sie sich selbst für die Erben des Römischen Reiches hielten, die Franzosen, weil sie glaubten, dass die Popularität ihrer Mode einer allgemeinen intellektuellen Überlegenheit entsprach, die Engländer, weil sie glaubten, dass ihr Reichtum Geschmack kaufen konnte, die Chinesen, weil sie glaubten, dass sie sich nur selbst studieren müssten, um die Welt zu verstehen, und so weiter, konnte er sich auch einem krassen Stereotyp über afrikanische Dummheit hingeben, der nichts vom Witz und der Nuance seiner anderen Kritiken widerspiegelte. So zeigt uns Zimmermann einen hartnäckigen blinden Fleck in ansonsten scharfen Aufklärungskritiken von Dogmen und Vorurteilen.

Jeff Bowersox (übersetzt von Lilian Gergely)


English

Alle Völker brüsten sich nach gleichen Grundsätzen der Selbstzufriedenheit. Die Grönländer, die mit ihren Hunden aus einer Schüssel fressen, verachten die Dänen; die Kosacken und Kalmucken haben die äusserste Verachtung für die Russen; die Negern sind sehr eitel, zumal da sie unter allen Völkern auf Erden die dümmsten sind. Frägt man die Cariben an dem Oronokostrome, woher sie ihren Ursprung haben? so versetzen sie, nur wir sind Menschen. Keine Nation ist beynahe unter der Sonne zu finden, von welcher sich nicht Beypiele von Hochmuth, Stolz, und Aufgeblasenheit angeben lassen. Alle gleichen mehr und weniger dem Spanier, der sagen durfte es sey ein Glück, daß der Teufel in der Wüste unserm Heiland Spanien nicht gezeiget habe, weil er ganz gewiß sich hätte verführen lassen. Oder dem Canadier, der einen Franzosen zu rühmen glaubt, wenn er sagt, er ist ein Mann wie ich.

Jede Nation macht sich Begriffe von Schönheit oder Häßlichkeit, nach der Aehnlichkeith oder Unähnlichkeit, die sie zwischen sich und andern siehet.


In seinem Kapitel über die Arroganz der Potentate und die Regeln der Etikette und des Protokolls, die erfunden wurden, um ihr Gefühl von Bedeutung zu schützen, schließt Zimmermann mit einer Geschichte über einen westafrikanischen König ab, die von Montesquieus Persischen Briefen (1721) entlehnt ist. Zimmermann verspottet den „Negerkönig” genau wie andere Herrscher, aber einzigartig ist die Pointe des Spottes hier nicht nur die Selbstachtung des Mannes. Indem er auch die Insignien seines Hofes verspottet und sich auf Ideen über Zusammenhänge zwischen Kleidung und Zivilisationsgrad stützt, lässt Zimmermann die Arroganz des Königs umso erbärmlicher erscheinen. Diese Passage war nicht im Originalbuch enthalten, sondern wurde in späteren Ausgaben hinzugefügt:

Doch ich weis nicht, daß der auf ein eingebildetes Ansehn sich beziehende Stolz weiter getrieben worden sey, als bey einem Negernkönig an der Guineischen Küste, dessen Andenken der grosse Verfasser der Persianischen Briefe verewiget hat. Einige Franzosen stiegen daselbst von ihren Schiffen an das Land, um sich etliche Lämmer zu kaufen; man führte sie vor diese König, der unter einem Baume die Angelegenheiten seines Staates besorgte. Er saß auf seinem Thron, das ist, auf einem Stück Holz, eben so aufgeblasen, als wenn es der Thron des grossen Moguls wäre. Neben ihm stand eine Leibwache von drey oder vier mit hölzernen Piken bewafneten Kerls; über seinem Haupte erhub sich ein Sonnenschirm, der den Thronhimmel vorstellte; sein königlicher Schmuck bestand, wie der Schmuck seiner Gemahlinn, in der Schwärze ihrer Haut, und in einigen Ringen. Dieser Potentat fragte in vollem Ernste: spricht man in Frankreich viel von mir?


Quelle: J. G. Zimmermann, Vom Nationalstolze (Karlsruhe: Christian Gottlieb Schneider, 1783), 45, 89-90.

Special thanks to Fernando Clara for pointing me in the direction of this work.


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