Carl Einstein findet in afrikanischen Märchen und Legenden Inspiration (1917)

Carl Einstein (1885-1940) war ein deutsch-jüdischer Historiker und Kunstkritiker, der für die Verfechtung und Förderung der modernistischen Kunst bekannt ist. Wie viele Modernisten war er von neuen Entdeckungen, die auf eine lange Tradition anspruchsvoller Kunst und Kultur in Afrika hinwiesen, beeindruckt. Er kämpfte im Ersten Weltkrieg und verbrachte einen Großteil davon im Kolonialbüro des besetzten Belgien, wo er die Möglichkeit hatte, afrikanische Kunst und Legenden zu erforschen, die von den Kolonialbehörden gesammelt wurden. Seit Herder waren Volkslegenden als Ausdruck der kulturellen Wurzeln eines Volkes angesehen worden und waren daher notwendig, um jede Kultur zu würdigen. Er interessierte sich für Mythen, vor allem für Ursprungsgeschichten (Menschheit, Tod, Krieg, Licht und Dunkelheit), die die Leser mit europäischen Geschichten vergleichen könnten. Aber als Expressionist interessierte er sich auch dafür, solche „primitiven“, kulturellen Artefakte zu nutzen, um die Leser die erstickenden Konventionen der modernen Zivilisation hinterfragen zu lassen und die befreiende Möglichkeit neuer Lebensweisen vorzuschlagen. Geschichten über zerrüttete Konventionen, menschliche Unvollkommenheit und Gewalt zogen sein Augenmerk auf sich, ebenso wie Geschichten, die einen Bruch mit der bestehenden Ordnung vorschlugen, wodurch sie zu einer kreativen Wirkungskraft werden konnten. Anstatt sie direkt zu übersetzen, erzählte er die Geschichten so, dass sie „authentischer” klangen, vor allem, indem er in einer einfachen Sprache schrieb und sie aus jedem historischen Kontext entfernte. 

Die unten abgedruckte Geschichte aus dem Königreich Bakuba in der heutigen Demokratischen Republik Kongo erzählt eine Geschichte darüber, wie die Menschen lernten, Feuer zu machen.

Jeff Bowersox (übersetzt von Lilian Gergely)


English

Wie man das Feuer entzündete

Während der Herrschaft Muchu Mushangas lebte ein Mann mit Namen Kerikeri. Eines Nachts träumte er, Bumba sei gekommen ihn zu sehen, und sage ihm, auf einen bestimmten Weg zu gehen, Zweige eines gewissen Baumes zu brechen und sie sorgsam zu bewahren. Er tat es, und da die Zweige ganz trocken waren, erschien Bumba ihm von neuem im Traum, wünschte ihm Glück ob seine Gehorsams und wies ihm, durch Reihen Feuer zu machen. Kerikeri bewahrte sein Geheimnis für sich, und als durch einen Zufall alle Feuer des Dorfes erloschen waren, verkaufte er den Nachbarn Feuer um einen hohen Preis. Alle klugen und pfiffigen Männer versuchten sein Geheimnis zu entdecken, doch er wahrte es sorgsam.

Muchu Mushanga besaß eine sehr schöne Tochter mit Namen Katenga; er sprach: “Wenn du das Geheimnis dieses Mannes zu entdecken vermagst, wirst du geehrt sein und wie ein Mann unter den Alten sitzen.” Katenga reizte Kerikeri auf, und er verlor sich in Liebe zu ihr. Da Katenga dies sah, befahl sie, daß alle Feuer des Dorfes erlöschten, und sandte einen Sklaven, Kerikeri zu sagen, sie den Abend in seiner Hütte zu erwarten. Da alles schlief, glitt sie zu seiner Hütte und klopfte an die Tür. Die Nacht war sehr dunkel. Kerikeri ließ sie eintreten.

Sie setzte sich und blieb schweigend. Der Verliebte frug: “Warum bist du schweigend, Katenga? Liebst du mich nicht?” Sie erwiderte: “Wie kann ich an Liebe denken, wenn ich in deinem Haus zittere. Geh, suche Feuer, daß ich dich sehen und mein Herz sich hitzen kann.”

So lief Kerikeri zu den Nachbarn, sich Feuer zu verschaffen, doch diese erinnerten sich Katengas Gebot, sie hatten ihre Feuer gelöscht, und jener kam zurück, er hatte keins gefunden. Vergebens bat er Katenga, seinem Verlangen zu weichen, sie bestand, daß er beginne, Feuer zu entzünden. Endlich gab er nach, suchte seine Stäbe und bereitete Feuer, während sie aufmerksam zuschaute. Dann hub sie zu lachen an und sprach: “Dachtest du, daß ich, eines Königs Tochter, dich liebte um deiner selbst willen? Nur dein Geheimnis verlangte ich zu sehen, und da das Feuer jetzt entzündet ist, kannst du durch einen Sklaven es löschen lassen.” Also erhob sie sich, floh aus der Hüte, kündete dem ganzen Hof die Entdeckung, sprach zu ihrem Vater: “Wo ein mächtiger König strauchelt, gewinnt ein listig’ Weib –”


Quelle: Carl Einstein, “Negermythen,” Marsyas (1917): 45-46


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