Kant über die verschiedenen Rassen der Menschen (1777)

Immanuel Kant (1724-1804) ist vielleicht die größte Figur der deutschen Aufklärung, aber auch die umstrittenste für diejenigen, die sich mit der Entwicklung des modernen Rassismus beschäftigen. In der hier übersetzten Arbeit setzt er sich mit dem Thema der menschlichen Differenz auseinander und versucht, Kategorien zu schaffen, um Variationen in physischen Merkmalen und in kulturellen Praktiken zu erklären. Das Konzept der Rasse ist für ihn bei der Durchführung dieses Projekts eindeutig wichtig. Obwohl er auf die Möglichkeit der Flüssigkeit und des Wandels im Laufe der Zeit achtet, untergräbt er dies auch, indem er auf ein Schema fester Rassenmerkmale zurückgreift, das bestimmte Völker, hauptsächlich Schwarze, zu einem untergeordneten Status verurteilte. Aufgrund der wissenschaftlichen Autorität von Kant hatten seine Werke bei seinen Zeitgenossen ein hohes Gewicht, und er trägt eine erhebliche Verantwortung für die Verstärkung abscheulicher Stereotypen, die zunächst von Sklavenhaltern in der Karibik entwickelt wurden. Aber im Laufe seiner Karriere scheint er sich seiner eigenen Widersprüche bewusst geworden zu sein, und seine Ideen scheinen sich deutlich weiterentwickelt zu haben. Am Ende seines Lebens verurteilte er mit Nachdruck koloniale Eroberung und Sklaverei und verspottete die selbstherrlichen Ansprüche der Europäer. Wissenschaftler diskutieren heute, ob Kants Vorstellungen von universeller Freiheit von seinen eigenen Rassenkategorien getrennt werden können, um sie im Kampf gegen den rassischen Essentialismus zu nutzen. 

Jeff Bowersox (übersetzt von Lilian Gergely)


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  1. Von der Verschiedenheit der Racen überhaupt

Im Thierreiche gründet sich die Natureintheilung in Gattungen und Arten auf das gemeinschaftliche Gesetz der Fortpflanzung, und die Einheit der Gattungen ist nichts anders, als die Einheit der zeugenden Kraft, welche für eine gewisse Mannigfaltigkeit von Thieren durchgängig geltend ist. Daher muß die Büffonsche Regel, daß Thiere, die mit einander fruchtbare Jungen erzeugen, (von welcher Verschiedenheit der Gestalt sie auch sein mögen) doch zu einer und derselben physischen Gattung gehören, eigentlich nur als die Definition einer Naturgattung der Thiere überhaupt zum Unterschiede von allen Schulgattungen derselben angesehen werden. Die Schuleintheilung geht auf Klassen, welche nach Ähnlichkeiten, die Natureintheilung aber auf Stämme, welche die Thiere nach Verwandtschaften in Ansehung der Erzeugung eintheilt. Jene verschafft ein Schulsystem für das Gedächtniß; diese ein Natursystem für den Verstand: die erstere hat nur zur Absicht, die Geschöpfe unter Titel, die zweite, sie unter Gesetze zu bringen.

Nach diesem Begriffe gehören alle Menschen auf der weiten Erde zu einer und derselben Naturgattung, weil sie durchgängig mit einander fruchtbare Kinder zeugen, so große Verschiedenheiten auch sonst in ihrer Gestalt mögen angetroffen werden. Von dieser Einheit der Naturgattung, welche eben so viel ist, als die Einheit der für sie gemeinschaftlich gültigen Zeugungskraft, kann man nur eine einzige natürliche Ursache anführen: nämlich, daß sie alle zu einem einzigen Stamme gehören, woraus sie unerachtet ihrer Verschiedenheiten entsprungen sind, oder doch wenigstens haben entspringen können. Im erstern Falle gehören die Menschen nicht bloß zu einer und derselben Gattung, sondern auch zu einer Familie; im zweiten sind sie einander ähnlich, aber nicht verwandt, und es müßten viel Localschöpfungen angenommen werden; eine Meinung, welche die Zahl der Ursachen ohne Noth vervielfältigt. Eine Thiergattung, die zugleich einen gemeinschaftlichen Stamm hat, enthält unter sich nicht verschiedene Arten (denn diese bedeuten eben die Verschiedenheiten der Abstammung); sondern ihre Abweichungen von einander heißen Abartungen, wenn sie erblich sind. Die erblichen Merkmale der Abstammung, wenn sie mit ihrer Abkunft einstimmig sind, heißen Nachartungen; könnte aber die Abartung nicht mehr die ursprüngliche Stammbildung herstellen, so würde sie Ausartung heißen.

Unter den Abartungen, d. i. den erblichen Verschiedenheiten der Thiere, die zu einem einzigen Stamme gehören, heißen diejenigen, welche sich sowohl bei allen Verpflanzungen (Versetzungen in andre Landstriche) in langen Zeugungen unter sich beständig erhalten, als auch in der Vermischung mit andern Abartungen desselbigen Stamms jederzeit halbschlächtige Junge zeugen, Racen. Die, so bei allen Verpflanzungen das Unterscheidende ihrer Abartung zwar beständig erhalten und also nacharten, aber in der Vermischung mit andern nicht nothwendig halbschlächtig zeugen, heißen Spielarten; die aber, so zwar oft, aber nicht beständig nacharten, Varietäten. Umgekehrt heißt die Abartung, welche mit andern zwar halbschlächtig erzeugt, aber durch die Verpflanzung nach und nach erlischt, ein besonderer Schlag.

Auf diese Weise sind Neger und Weiße zwar nicht verschiedene Arten von Menschen (denn sie gehören vermuthlich zu einem Stamme), aber doch zwei verschiedene Racen: weil jede derselben sich in allen Landstrichen perpetuirt, und beide mit einander nothwendig halbschlächtige Kinder Blendlinge (Mulatten) erzeugen. Dagegen sind Blonde und Brunette nicht verschiedene Racen der Weißen, weil ein blonder Mann von einer brunetten Frau auch lauter blonde Kinder haben kann, obgleich jede dieser Abartungen sich bei allen Verpflanzungen lange Zeugungen hindurch erhält. Daher sind sie Spielarten der Weißen. Endlich bringt die Beschaffenheit des Bodens (Feuchtigkeit oder Trockenheit), imgleichen derNahrung nach und nach einen erblichen Unterschied oder Schlag unter Thiere einerlei Stammes und Race vornehmlich in Ansehung der Größe, der Proportion der Gliedmaßen (plump oder geschlank), ingleichen des Naturells, der zwar in der Vermischung mit fremden halbschlächtig anartet, aber auf einem andern Boden und bei anderer Nahrung (selbst ohne Veränderung des Klima) in wenig Zeugungen verschwindet. Es ist angenehm, den verschiedenen Schlag der Menschen nach Verschiedenheit dieser Ursachen zu bemerken, wo er in eben demselben Lande blos nach den Provinzen kenntlich ist (wie sich die Böotier, die einen feuchten, von den Atheniensern unterschieden, die einen trockenen Boden bewohnten), welche Verschiedenheit oft freilich nur einem aufmerksamen Auge kenntlich ist, von andern aber belacht wird. Was blos zu den Varietäten gehört und also an sich selbst (obzwar eben nicht beständig) erblich ist, kann doch durch Ehen, die immer in denselben Familien verbleiben, dasjenige mit der Zeit hervorbringen, was ich den Familienschlag nenne, wo sich etwas Charakteristisches endlich so tief in die Zeugungskraft einwurzelt, daß es einer Spielart nahe kommt und sich wie diese perpetuirt. Man will dieses an dem alten Adel von Venedig, vornehmlich der Damen desselben bemerkt haben. Zum wenigsten sind in der neu entdeckten Insel Otaheite die adlichen Frauen insgesammt größern Wuchses als die gemeinen. Auf der Möglichkeit, durch sorgfältige Aussonderung der ausartenden Geburten von den einschlagenden endlich einen dauerhaften Familienschlag zu errichten, beruhte die Meinung des Herrn von Maupertuis: einen von Natur edlen Schlag Menschen in irgend einer Provinz zu ziehen, worin Verstand, Tüchtigkeit und Rechtschaffenheit erblich wären. Ein Anschlag, der meiner Meinung nach an sich selbst zwar thunlich, aber durch die weisere Natur ganz wohl verhindert ist, weil eben in der Vermengung des Bösen mit dem Guten die großen Triebfedern liegen, welche die schlafenden Kräfte der Menschheit in Spiel setzen und sie nöthigen, alle ihre Talente zu entwickeln und sich der Vollkommenheit ihrer Bestimmung zu nähern. Wenn die Natur ungestört (ohne Verpflanzung oder fremde Vermischung) viele Zeugungen hindurch wirken kann, so bringt sie jederzeit endlich einen dauerhaften Schlag hervor, der Völkerschaften auf immer kenntlich macht und eine Race würde genannt werden, wenn das Charakteristische nicht zu unbedeutend schiene und zu schwer zu beschreiben wäre, um darauf eine besondere Abtheilung zu gründen.

2. Eintheilung der Menschengattung in ihre verschiedenen Racen.

Ich glaube, man habe nur nöthig, vier Racen derselben anzunehmen, um alle dem ersten Blick kenntliche und sich perpetuirende Unterschiede davon ableiten zu können. Sie sind 1) die Race der Weißen, 2) die Negerrace, 3) die hunnische (mungalische oder kalmuckische) Race, 4) die hinduische oder hindistanische Race. Zu der erstern, die ihren vornehmsten Sitz in Europa hat, rechne ich noch die Mohren (Mauren von Afrika), die Araber (nach dem Niebuhr), den türkisch=tatarischen Völkerstamm und die Perser, imgleichen alle übrige Völker von Asien, die nicht durch die übrigen Abtheilungen namentlich davon ausgenommen sind. Die Negerrace der nordlichen Halbkugel ist bloß in Afrika, die der südlichen (außerhalb Afrika) vermuthlich nur in Neuguinea eingeboren ( Autochthones ), in einigen benachbarten Inseln aber bloße Verpflanzungen. Die kalmuckische Race scheint unter den Koschottischen am reinsten, unter den Torgöts etwas, unter den Dsingorischen mehr mit tatarischem Blute vermischt zu sein und ist eben dieselb aus dem Nordosten von Asien wegen der übereinstimmenden Thierartene, welche in den ältesten Zeiten den Namen der Hunnen, später den Namen der Mungalen (in weiter Bedeutung) und jetzt der Ölöts führt. Die hindistanische Race ist in dem Lande dieses Namens sehr rein und uralt, aber von dem Volke auf der jenseitigen Halbinsel Indiens unterschieden. Von diesen vier Racen glaube ich alle übrige erbliche Völkercharaktere ableiten zu können: entweder als vermischte oder angehende Racen, wovon die erste aus der Vermischung verschiedener entsprungen ist, die zweite in dem Klima noch nicht lange genug gewohnt hat, um den Charakter der Race desselben völlig anzunehmen. So hat die Vermischung des tatarischen mit dem hunnischen Blute an den Karakalpaken, den Nagajen und andern Halbracen hervorgebracht. Das hindistanische Blut, vermischt mit dem der alten Scythen (in und um Tibet) und mehr oder weniger von dem hunnischen, hat vielleicht die Bewohner der jenseitigen Halbinsel Indiens, die Tonkinesen und Schinesen, als eine vermischte Race erzeugt. Die Bewohner der nördlichen Eisküste Asiens sind ein Beispiel einer angehenden hunnischen Race, wo sich schon das durchgängig schwarze Haar, das bartlose Kinn, das flache Gesicht und langgeschlitzte, wenig geöffnete Augen zeigen: die Wirkung der Eiszone an einem Volke, welches in spätern Zeiten aus milderem Himmelsstriche in diese Sitze getrieben worden, so wie die Seelappen, ein Abstamm des ungrischen Volks, in nicht gar viel Jahrhunderten schon ziemlich in das Eigenthümliche des kalten Himmelstrichs eingeartet sind, ob sie zwar von einem wohlgewachsenen Volke aus der temperirten Zone entsprossen waren. Endlich scheinen die Amerikaner eine noch nicht völlig eingeartete hunnische Race zu sein. Denn im äußersten Nordwesten von Amerika (woselbst auch aller Vermuthung nach die Bevölkerung dieses Welttheils in beiden geschehen sein muß), an den nordlichen Küsten von der Hudsonsbai, sind die Bewohner den Kalmucken ganz ähnlich. Weiter hin in Süden wird das Gesicht zwar offener und erhobener, aber das bartlose Kinn, das durchgängig schwarze haar, die rothbraune Gesichtsfarbe, imgleichen die Kälte und Unempfindlichkeit des Naturells, lauter Überbleibsel von der Wirkung eines langen Aufenthalts in kalten Weltstrichen, wie wir bald sehen werden, gehen von dem äußersten Norden dieses Welttheils bis zum Staaten=Eilande fort. Der längere Aufenthalt der Stammväter der Amerikaner in N.O. von Asien und dem benachbarten N.W. von Amerika hat die kalmuckische Bildung zur Vollkommenheit gebracht, die geschwindere Ausbreitung ihrer Abkömmlinge aber nach dem Süden dieses Welttheils die amerikanische. Von Amerika aus ist gar nichts weiter bevölkert. Denn auf den Inseln des stillen Meers sind alle Einwohner, einige Neger ausgenommen bärtig; vielmehr geben sie einige Zeichen der Abkunft von den Malayen, eben so wie die auf den sundaischen Inseln; und die Art von Lehnsregierung, welche man auf der Insel Otaheite antraf, und welche auch die gewöhnliche Staatsverfassung der Malayen ist, bestätigt diese Vermuthung.

Die Ursache, Neger und Weiße für Grundracen anzunehmen, ist für sich selbst klar. Was die hindistanische und kalmuckische betrifft, so ist das Olivengelb, welches dem mehr oder wenigen Braunen der heißen Länder zum Grunde liegt, bei den erstern eben so wenig, als das originale Gesicht der zweiten von irgend einem andern bekannten Nationcharakter abzuleiten, und beide drücken sich in vermischten Begattungen unausbleiblich ab. Eben dieses gilt von der in die kalmuckische Bildung einschlagenden und damit durch einerlei Ursache verknüpften amerikanischen Race. Der Ostindianer giebt durch Vermischung mit dem Weißen den gelben Mestizen, wie der Amerikaner mit demselben den rothen und der Weiße mit dem Neger den Mulatten, der Amerikaner mit eben demselben den Kabugl oder den schwarzen Karaiben: welches jederzeit kenntlich bezeichnete Blendlinge sind und ihre Abkunft von ächten Racen beweisen.

3. Von den unmittelbaren Ursachen des Ursprungs dieser verschiedenen Racen.

Die in der Natur eines organischen Körpers (Gewächses oder Thieres) liegenden Gründe einer bestimmten Auswickelung heißen, wenn diese Auswickelung besondere Theile betrifft, Keime; betrifft sie aber nur die Größe oder das Verhältniß der Theile untereinander, so nenne ich sie natürliche Anlagen. In den Vögeln von derselben Art, die doch in verschiedenen Klimaten leben sollen, liegen Keime zur Auswickelung einer neuen Schicht Federn, wenn sie im kalten Klima leben, die aber zurückgehalten werden, wenn sie sich in gemäßigten aufhalten sollen. Weil in einem kalten Lande das Weizenkorn mehr gegen feuchte Kälte geschützt werden muß, als in einem trocknen oder warmen, so liegt in ihm eine vorher bestimmte Fähigkeit oder natürliche Anlage, nach und nach eine dickere Haut hervorzubringen. Diese Fürsorge der Natur, ihr Geschöpf durch versteckte innere Vorkehrungen auf allerlei künftige Umstände auszurüsten, damit es sich erhalte und der Verschiedenheit des Klima oder des Bodens angemessen sei, ist bewundernswürdig und bringt bei der Wanderung und Verpflanzung der Thiere und Gewächse dem Scheine nach neue Arten hervor, welche nichts anders als Abartungen und Racen von derselben Gattung sind, deren Keime und natürliche Anlagen sich nur gelegentlich in langen Zeitläuften auf verschiedene Weise entwickelt haben.

Der Zufall, oder allgemeine mechanische Gesetze können solche Zusammenpassungen nicht hervorbringen. Daher müssen wir dergleichen gelegentliche Auswickelungen als vorgebildet ansehn. Allein selbst da, wo sich nichts Zweckmäßiges zeigt, ist das bloße Vermögen, seinen besondern angenommenen Charakter fortzupflanzen, schon Beweises genug: daß dazu ein besonderer Keim oder natürliche Anlage in dem organischen Geschöpf anzutreffen gewesen. Denn äußere Dinge können wohl Gelegenheit=-, aber nicht hervorbringende Ursachen von demjenigen sein, was nothwendig anerbt und nachartet. So wenig als der Zufall oder physisch=mechanische Ursachen einen organischen Körper hervorbringen können, so wenig werden sie zu seiner Zeugungskraft etwas hinzusetzen, d. i. etwas bewirken, was sich selbst fortpflanzt, wenn es eine besondere Gestalt oder Verhältniß der Theile ist. Luft, Sonne und Nahrung können einen thierischen Körper in seinem Wachsthume modificiren, aber diese Veränderung nicht zugleich mit einer zeugenden Kraft versehen, die vermögend wäre, sich selbst auch ohne diese Ursache wieder hervorzubringen; sondern was sich fortpflanzen soll, muß in der Zeugungskraft schon vorher gelegen haben, als vorher bestimmt zu einer gelegentlichen Auswickelung den Umständen gemäß, darein das Geschöpf gerathen kann, und in welchen es sich beständig erhalten soll. Denn in die Zeugungskraft muß nichts dem Thiere Fremdes hinein kommen können, was vermögend wäre, das Geschöpf nach und nach von seiner ursprünglichen und wesentlichen Bestimmung zu entfernen und wahre Ausartungen hervorzubringen, die sich perpetuirten.

Der Mensch war für alle Klimaten und für jede Beschaffenheit des Bodens bestimmt; folglich mußten in ihm mancherlei Keime und natürliche Anlagen bereit liegen, um gelegentlich entweder ausgewickelt oder zurückgehalten zu werden, damit er seinem Platze in der Welt angemessen würde und in dem Fortgange der Zeugungen demselben gleichsam angeboren und dafür gemacht zu sein schiene. Wir wollen nach diesen Begriffen die ganze Menschengattung auf der weiten Erde durchgehn und daselbst zweckmäßige Ursachen seiner Abartungen anführen, wo die natürlichen nicht wohl einzusehen sind, hingegen natürliche, wo wir die Zwecke nicht gewahr werden. Hier merke ich nur an: daß Luft und Sonne diejenigen Ursachen zu sein scheinen, welche auf die Zeugungskraft innigst einfließen und eine dauerhafte Entwickelung der Keime und Anlagen hervorbringen, d. i. eine Race gründen können; da hingegen die besondere Nahrung zwar einen Schlag Menschen hervorbringen kann, dessen Unterscheidendes aber bei Verpflanzungen bald erlischt. Was auf die Zeugungskraft haften soll, muß nicht die Erhaltung des Lebens, sondern die Quelle desselben, d. i. die ersten Principien seiner thierischen Einrichtung und Bewegung, afficiren.

Der Mensch, in die Eiszone versetzt, mußte nach und nach in eine kleinere Statur ausarten, weil bei dieser, wenn die Kraft des Herzens dieselbe bleibt, der Blutumlauf in kürzerer Zeit geschieht, der Pulsschlag also schneller und die Blutwärme größer wird. In der That fand auch Cranz die Grönländer nicht allein weit unter der Statur der Europäer, sondern auch von merklich größerer natürlichen Hitze ihres Körpers. Selbst das Mißverhältniß zwischen der ganzen Leibeshöhe und den kurzen Beinen an den nördlichsten Völkern ist ihrem Klima angemessen, da diese Theile des Körpers wegen ihrer Entlegenheit vom Herzen in der Kälte mehr Gefahr leiden. Gleichwohl scheinen doch die meisten der jetzt bekannten Einwohner der Eiszone nur spätere Ankömmlinge daselbst zu sein, wie die Lappen, welche mit den Finnen aus einerlei Stamme, nämlich dem ungrischen, entsprungen, nur seit der Auswanderung der letztern (aus dem Osten von Asien) die jetzigen Sitze eingenommen haben und doch schon in dieses Klima auf einen ziemlichen Grad eingeartet sind.

Wenn aber ein nordliches Volk lange Zeitläufte hindurch genöthigt ist, den Einfluß von der Kälte der Eiszone auszustehen, so müssen sich mit ihm noch größere Veränderungen zutragen. Alle Auswickelung, wodurch der Körper seine Säfte nur verschwendet, muß in diesem austrocknenden Himmelsstriche nach und nach gehemmt werden. Daher werden die Keime des Haarwuchses mit der Zeit unterdrückt, so daß nur diejenigen übrig bleiben, welche zur nothwendigen Verdeckung des Hauptes erforderlich sind. Vermöge einer natürlichen Anlage werden auch die hervorragenden Theile des Gesichts, welches am wenigsten einer Bedeckung fähig ist, da sie durch die Kälte unaufhörlich leiden, vermittelst einer Fürsorge der Natur allmählig flacher werden, um sich besser zu erhalten. Die wulstige Erhöhung unter den Augen, die halbgeschlossenen und blinzenden Augen schienen zur Verwahrung derselben theils gegen die austrocknende Kälte der Luft, theils gegen das Schneelicht (wogegen die Eskimos auch Schneebrillen brauchen) wie veranstaltet zu sein, ob sie gleich auch als natürliche Wirkungen des Klima angesehen werden können, die selbst in mildern Himmelsstrichen, nur in weit geringerm Maße, zu bemerken sind. So entspringt nach und nach das bartlose Kinn, die gepletschte Nase, dünne Lippen, blinzende Augen, das flache Gesicht, die röthlich braune Farbe mit dem schwarzen Haare, mit einem Worte, die kalmuckische Gesichtsbildung, welche in einer langen Reihe von Zeugungen in demselben Klima sich bis zu einer dauerhaften Race einwurzelt, die sich erhält, wenn ein solches Volk gleich nachher in mildern Himmelsstrichen neue Sitze gewinnt.

Man wird ohne Zweifel fragen, mit welchem Rechte ich die kalmuckische Bildung, welche jetzt in einem mildern Himmelsstriche in ihrer größten Vollständigkeit angetroffen wird, tief aus Norden oder Nordosten herleiten könne. Meine Ursache ist diese. Herodot berichtet schon aus seinen Zeiten: daß die Argippäer, Bewohner eines Landes am Fuße hoher Gebirge, in einer Gegend, welche man für die des Uralgebirges halten kann, kahl und flachnasicht wären und ihre Bäume mit weißen Decken (vermuthlich versteht er Filzzelte) bedeckten. Diese Gestalt findet man jetzt in größerm oder kleinerm Maße im Nordosten von Asien, vornehmlich aber in dem nordwestlichen Theil von Amerika, den man von der Hudsonsbai aus hat entdecken können, wo nach einigen neuen Nachrichten die Bewohner wie wahre Kalmucken aussehn. Bedenkt man nun, daß in der ältesten Zeit Thiere und Menschen in dieser Gegend zwischen Asien und Amerika müssen gewechselt haben, indem man einerlei Thiere in dem kalten Himmelsstriche beider Welttheile antrifft, daß diese menschliche Race sich allererst etwa 1000 Jahre vor unserer Zeitrechnung (nach dem Desguignes) über den Amurstrom hinaus den Chinesen zeigte und nach und nach andere Völker von tatarischen, ungrischen und andern Stämmen aus ihren Sitzen vertrieb, so wird diese Abstammung aus dem kalten Weltstriche nicht ganz erzwungen scheinen.

Was aber das Vornehmste ist, nämlich die Ableitung der Amerikaner als einer nicht völlig eingearteten Race, eines Volks, das lange den nordlichsten Weltstrich bewohnt hat, wird gar sehr durch den erstickten Haareswuchs an allen Theilen des Körpers außer dem Haupte, durch die röthliche Eisenrostfarbe der kälteren und die dunklere Kupferfarbe heißerer Landstriche dieses Welttheils bestätigt. Denn das Rothbraune scheint (als eine Wirkung der Luftsäure) eben so dem kalten Klima, wie das Olivenbraun (als eine Wirkung des Laugenhaft=Gallichten der Säfte) dem heißen Himmelsstriche angemessen zu sein, ohne einmal das Naturell der Amerikaner in Anschlag zu bringen, welches eine halb erloschene Lebenskraft verräth, die am natürlichsten für die Wirkung einer kalten Weltgegend angesehen werden kann.

Die größte feuchte Hitze des warmen Klima muß hingegen an einem Volke, das darin alt genug geworden, um seinem Boden völlig anzuarten, Wirkungen zeigen, die den vorigen gar sehr entgegengesetzt sind. Es wird gerade das Widerspiel der kalmuckischen Bildung erzeugt werden. Der Wuchs der schwammichten Theile des Körpers mußte in einem heißen und feuchten Klima zunehmen; daher eine dicke Stülpnase und Wurstlippen. Die Haut mußte geölt sein, nicht bloß um die zu starke Ausdünstung zu mäßigen, sondern die schädliche Einsaugung der fäulichten Feuchtigkeiten der Luft zu verhüten. Der Überfluß der Eisentheilchen, die sonst in jedem Menschenblute angetroffen werden und hier durch die Ausdünstung des phosphorischen Sauren (wornach alle Neger stinken) in der netzförmigen Substanz gefällt worden, verursacht die durch das Oberhäutchen durchscheinende Schwärze, und der starke Eisengehalt im Blute scheint auch nöthig zu sein, um der Erschlaffung aller Theile vorzubeugen. Das Öl der Haut, welches den zum Haareswuchs erforderlichen Nahrungsschleim schwächt, verstattete kaum die Erzeugung einer den Kopf bedeckenden Wolle. Übrigens ist feuchte Wärme dem starken Wuchs der Thiere überhaupt beförderlich, und kurz, es entspringt der Neger, der seinem Klima wohl angemessen, nämlich stark, fleischig, gelenk, aber unter der reichlichen Versorgung seines Mutterlandes faul, weichlich und tändelnd ist.

Der Eingeborne von Hindistan kann als aus einer der ältesten menschlichen Racen entsprossen angesehen werden. Sein Land, welches nordwärts an ein hohes Gebürge gestützt und von Norden nach Süden bis zur Spitze seiner Halbinsel von einer langen Bergreihe durchgezogen ist (wozu ich nordwärts noch Tibet, vielleicht den allgemeinen Zufluchtsort des menschlichen Geschlechts während und dessen Pflanzenschule nach der letzten großen Revolution unsrer Erde, mitrechne), hat in einem glücklichen Himmelsstriche die vollkommenste Scheitelung der Wasser (Ablauf nach zwei Meeren), die sonst kein im glücklichen Himmelsstriche liegender Theil des festen Landes von Asien hat. Es konnte also in den ältesten Zeiten trocken und bewohnbar sein, da sowohl die östliche Halbinsel Indiens, als China (weil in ihnen die Flüsse, an statt sich zu scheiteln, parallel laufen) in jenen Zeiten der Überschwemmungen noch unbewohnt sein mußten. Hier konnte sich also in langen Zeitläuften eine feste menschliche Race gründen. Das Olivengelb der Haut des Indianers, die wahre Zigeunerfarbe, welche dem mehr oder weniger dunkeln Braun anderer östlicheren Völker zum Grunde liegt, ist auch eben so charakteristisch und in der Nachartung beständig, als die schwarze Farbe der Neger und scheint zusammt der übrigen Bildung und dem verschiedenen Naturelle eben so die Wirkung einer trockenen, wie die letztere der feuchten Hitze zu sein. Nach Herrn Ives sind die gemeinen Krankheiten der Indianer verstopfte Gallen und geschwollene Lebern; ihre angeborne Farbe aber ist gleichsam gelbsüchtig und scheint eine continuirliche Absonderung der ins Blut getretenen Galle zu beweisen, welche als seifenartig die verdickten Säfte vielleicht auflöset und verflüchtigt und dadurch wenigstens in den äußern Theilen das Blut abkühlt. Eine hierauf oder auf etwas Ähnliches hinauslaufende Selbsthülfe der Natur, durch eine gewisse Organisation (deren Wirkung sich an der Haut zeigt) dasjenige continuirlich wegzuschaffen, was den Blutumlauf reizt, mag wohl die Ursache der kalten Hände der Indianer sein und vielleicht (wiewohl man dieses noch nicht beobachtet hat) einer überhaupt verringerten Blutwärme, die sie fähig macht, die Hitze des Klima ohne Nachtheil zu ertragen.

Da hat man nun Muthmaßungen, die wenigstens Grund genug haben, um andern Muthmaßungen die Wage zu halten, welche die Verschiedenheiten der Menschengattung so unvereinbar finden, daß sie deshalb lieber viele Localschöpfungen annehmen. Mit Voltairen sagen: Gott, der das Rennthier in Lappland schuf, um das Moos dieser kalten Gegenden zu verzehren, der schuf auch daselbst den Lappländer, um dieses Rennthier zu essen, ist kein übler Einfall für einen Dichter, aber ein schlechter Behelf für den Philosophen, der die Kette der Naturursachen nicht verlassen darf, als da, wo er sie augenscheinlich an das unmittelbare Verhängniß geknüpft sieht.

Man schreibt jetzt mit gutem Grunde die verschiedenen Farben der Gewächse dem durch unterschiedliche Säfte gefällten Eisen zu. Da alles Thierblut Eisen enthält, so hindert uns nichts, die verschiedene Farbe dieser Menschenracen eben derselben Ursache beizumessen. Auf diese Art würde etwa das Salzsaure, oder das phosphorisch Saure, oder das flüchtig Laugenhafte der ausführenden Gefäße der Haut die Eisentheilchen im Reticulum roth, oder schwarz, oder gelb niederschlagen. In dem Geschlechte der Weißen würde aber dieses in den Säften aufgelösete Eisen gar nicht niedergeschlagen und dadurch zugleich die vollkommene Mischung der Säfte und Stärke dieses Menschenschlags vor den übrigen bewiesen. Doch dieses ist nur eine flüchtige Anreizung zur Untersuchung in einem Felde, worin ich zu fremd bin, um mit einigem Zutraun auch nur Muthmaßungen zu wagen.

Wir haben vier menschliche Racen gezählt, worunter alle Mannigfaltigkeiten dieser Gattung sollen begriffen sein. Alle Abartungen aber bedürfen doch einer Stammgattung, die wir entweder für schon erloschen ausgeben oder aus den vorhandenen diejenige aussuchen müssen, womit wir die Stammgattung am meisten vergleichen können. Freilich kann man nicht hoffen, jetzt irgendwo in der Welt die ursprüngliche menschliche Gestalt unverändert anzutreffen. Eben aus diesem Hange der Natur, dem Boden allerwärts in langen Zeugungen anzuarten, muß jetzt die Menschengestalt allenthalben mit Localmodification behaftet sein. Allein der Erdstrich vom 31sten bis zum 52sten Grade der Breite in der alten Welt (welche auch in Ansehung der Bevölkerung den Namen der alten Welt zu verdienen scheint) wird mit Recht für denjenigen gehalten, in welchem die glücklichste Mischung der Einflüsse der kältern und heißern Gegenden und auch der größte Reichthum an Erdgeschöpfen angetroffen wird; wo auch der Mensch, weil er von da aus zu allen Verpflanzungen gleich gut zubereitet ist, am wenigsten von seiner Urbildung abgewichen sein müßte. Hier finden wir aber zwar weiße, doch brünette Einwohner, welche Gestalt wir also für die der Stammgattung nächste annehmen wollen. Von dieser scheint die hochblonde von zarter weißer Haut, röthlichem Haar, bleichblauen Augen die nächste nordliche Abartung zu sein, welche zur Zeit der Römer die nordlichen Gegenden von Deutschland und (andern Beweisthümern nach) weiter hin nach Osten bis zum altaischen Gebürge, allerwärts aber unermeßliche Wälder in einem ziemlich kalten Erdstriche bewohnte. Nun hat der Einfluß einer kalten und feuchten Luft, welche den Säften einen Hang zum Skorbut zuzieht, endlich einen gewissen Schlag Menschen hervorgebracht, der bis zur Beständigkeit einer Race würde gediehen sein, wenn in diesem Erdstriche nicht so häufig fremde Vermischungen den Fortgang der Abartung unterbrochen hätten. Wir können diese also zum wenigsten als eine Annäherung den wirklichen Racen beizählen, und alsdann werden diese in Verbindung mit den Naturursachen ihrer Entstehung sich unter folgenden Abriß bringen lassen.

Stammgattung

Weiße von brünetter Farbe.

Erste Race, Hochblonde (Nordl. Eur.) von feuchter Kälte.

Zweite Race, Kupferrothe (Amerik.) von trockner Kälte.

Dritte Race, Schwarze (Senegambia) von feuchter Hitze.

Vierte Race, Olivengelbe (Indianer) von trockner Hitze.

4. Von den Gelengheitsursachen der Gründung verschiedener Racen.

Was bei der Mannigfaltigkeit der Racen auf der Erdfläche die größte Schwierigkeit macht, welchen Erklärungsgrund man auch annehmen mag, ist: daß ähnliche Land= und Himmelsstriche doch nicht dieselbe Race enthalten, daß Amerika in seinem heißesten Klima keine ostindische, noch viel weniger eine dem Lande angeborne Negergestalt zeigt, daß es in Arabien oder Persien kein einheimisches indisches Olivengelb giebt, ungeachtet diese Länder in Klima und Luftbeschaffenheit mit jenem Lande sehr übereinkommen, etc. Was die erstere dieser Schwierigkeiten betrifft, so läßt sie sich aus der Art der Bevölkerung dieses Himmelsstrichs faßlich genug beantworten. Denn wenn einmal durch den langen Aufenthalt seines Stammvolks im N. O. von Asien oder des benachbarten Amerika sich eine Race wie die jetzige gegründet hatte, so konnte diese durch keine fernere Einflüsse des Klima in eine andere Race verwandelt werden. Denn nur die Stammbildung kann in eine Race ausarten; diese aber, wo sie einmal Wurzel gefaßt und die andern Keime erstickt hat, widersteht aller Umformung eben darum, weil der Charakter der Race einmal in der Zeugungskraft überwiegend geworden.

Was aber die Localität der Negerrace betrifft, die nur Afrika (in der größten Vollkommenheit Senegambia) eigen ist, ingleichen die der indischen, welche in dieses Land eingeschlossen ist (außer wo sie ostwärts halbschlächtig angeartet zu sein scheint): so glaube ich, daß die Ursache davon in einem inländischen Meere der alten Zeit gelegen habe, welches sowohl Hindistan, als Afrika von andern sonst nahen Ländern abgesondert gehalten. Denn der Erdstrich, der von der Grenze Dauriens über die Mungalei, kleine Bucharei, Persien, Arabien, Nubien, die Sahara bis Capo Blanco in einem nur wenig unterbrochenen Zusammenhange fortgeht, sieht seinem größten Theile nach dem Boden eines alten Meeres ähnlich. Die Länder in diesem Striche sind das, was Buache Platteform nennt, nämlich hohe und mehrentheils wagerecht gestellte Ebenen, in denen die daselbst befindlichen Gebürge nirgend einen weitgestreckten Abhang haben, indem ihr Fuß unter horizontalliegendem Sande vergraben ist: daher die Flüsse, deren es daselbst wenig giebt, nur einen kurzen Lauf haben und im Sande versiegen. Sie sind den Bassins alter Meere ähnlich, weil sie mit Höhen umgeben sind, in ihrem Inwendigen, im Ganzen betrachtet, Wasserpaß halten und daher einen Strom weder einnehmen, noch auslassen, überdem auch mit dem Sande, dem Niederschlag eines alten, ruhigen Meers, größtentheils bedeckt sind. Hieraus wird es nun begreiflich: wie der indische Charakter in Persien und Arabien nicht habe Wurzel fassen können, die damals noch zum Bassin eines Meeres dienten, als Hindistan vermuthlich lange bevölkert war; ingleichen, wie sich die Negerrace sowohl, als die indische unvermengt von nordischem Blute lange Zeit erhalten konnte, weil sie davon durch eben dieses Meer abgeschnitten war. Die Naturbeschreibung (Zustand der Natur in der jetzigen Zeit) ist lange nicht hinreichend, von der Mannigfaltigkeit der Abartungen Grund anzugeben. Man muß, so sehr man auch und zwar mit Recht der Frechheit der Meinungen feind ist, eine Geschichte der Natur wagen, welche eine abgesonderte Wissenschaft ist, die wohl nach und nach von Meinungen zu Einsichten fortrücken könnte.



Quelle: Immanuel Kant, “Von der verschiedenen Rassen der Menschen” (1777), translated by Jon Mark Mikkelsen and published in Race and the Enlightenment: A Reader, edited by Emmanuel Chukwudi Eze (Oxford: Wiley-Blackwell, 1997).

The original text in German can be found here.


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