schwarzweiße Liebesgeschichte in Parzival (ca. frühe 1200er Jahre)

Das Heldengedicht Parzival von Wolfram von Eschenbach (ca. 1170-1220) ist eines der größten Werke der mittelalterlichen Literatur. Die Geschichte befasst sich hauptsächlich mit Parzival, dem Sohn von Gamuret (oder Gahmuret), der sich der Gralssuche anschließt. Wolfram verwendet , um ein galantes und ritterliches Vorbild zu gestalten, während er auch prägnante und geistreiche Erläuterungen über die zeitgenössische Gesellschaft liefert. Seine Qualität kann anhand seines dauerhaften Einflusses auf vor allem Schriftsteller und Komponisten des neunzehnten Jahrhunderts, am erwähnenswertesten Richard Wagner, gesehen werden.

Die nachstehenden Auszüge stammen aus dem Buch , welches Gahmuret von Anschwein folgt, wie er die Welt bereist und nach Abenteuern sucht. Er besucht den Nahen Osten und dann das afrikanische Königreich Zassamank, wo er die edle Königin Belakanen (auch Belacane) unter der Belagerung des Königs von Schottland findet. Letzten Endes langweilt sich Gahmuret und verlässt sie beide unter dem Vorwand, dass sie eine Heidin ist. Bevor er abreist, stellt er sicher, dass Feirefiss weiß, wer sein Vater ist und dadurch arrangiert er die späteren Begegnungen mit seinem Halbbruder Parzival.

Die Auszüge hier aus dem Buch 1 sind aufgrund ihrer idealisierten Darstellung von Belakanens Schwärze und von Feirefiss‘ Hautfarbe einer „Elster“ beachtenswert. Wolfram bestätigt zuerst und stößt dann subtil die zeitgenössischen Assoziationen mit Schwärze (Sündhaftigkeit, Unglaube, Hässlichkeit) und Blässe (Reinheit, Vorhnehmheit, Schönheit) um, um sowohl auf die Fehlbarkeit seiner Figuren als auch auf die allgemeine Gültigkeit des Evangeliums für alle hinzuweisen.

Jeff Bowersox (übersetzt von Lilian Gergely)


English

Wem Zweifel an dem Herzen nagt,
Dem ist der Seele Ruh versagt.
Geziert ist und zugleich entstellt,
Wo Unlautres sich gesellt,
Zu des kühnen Mannes Preis
Wie bei der Elster Schwarz zu Weiß.
Doch oft gelangt er noch zum Heil,
Denn beide haben an ihm Teil,
Der Himmel und der Hölle Schlund.
Wer untreu hegt in Herzensgrund.
Wird schwarzer Farbe ganz und gar
Und trägt sich nach der finstern Schar;
Doch fest hält an der blanken
Der mit tätigen Gedanken.

Aufwärts strebt’ er sonder Wank.
Von dannen gegen Zaßamank.
Fuhr er, in das Königreich.
Da klagte Freund und Feind zugleich.
Eisenharten, der das Leben
Einem Weibe dienend hingegeben.
Dazu zwang ihn Belakane,
Die reine, wohlgethane.
Weil sie ihm niemals Minne bot,
Lag er um ihre Minne todt.
Da rächten ihn die Freunde bald
Offen und im Hinterhalt:
Die Frau bedrängt; ihr mächtig Heer.
Sie stellte kräftig sich zur Wehr,
Als Gahmuret kam in ihr Land,
Das der Schotte Friedebrand
Von den Schiffen aus verbrannte,
Eh er hinweg sich wandte.

Als der junge Anschewein
Vernahm von ihres Kummers Pein,
Da bot er seinen Dienst um Gut,
Wie es oft ein Ritter thut,
Daß er wißen möcht um was
Er dulden sollte Feindeshaß.
Da sprach aus Einem Munde
Der Sache, der Gesunde,
Er sollt ihm umverweigert sein,
All ihr Gold und ihr Gestein:
Darüber möchte er schalten
Und froh bei ihnen alten.
Doch bedurft er nicht des Soldes:
Arabischen Goldes
Hat er manchen Knollen mitgebracht.
Leute finster wie die Nacht
Waren die von Zaßamank:
Bei denen ward die Zeit ihm lang.
Doch ließ er Herberg nehmen:
Da müsten sie sich schämen,
Wenn sie ihm nicht die beste gaben.
Noch immer in den Fenstern lagen
Mägdlein und Frauen:
Sie musten Alles schauen,
Seine Knappen, sein Gewaffen
Wie das bestellt war und beschaffen.

Soviel Volks auch war darinnen,
Mohren und Möhrinnen
Waren beide, Weib und Mann.
Auch sah der Degen wohlgetan
Viel Schilde da zerbrochen
Und von Spuren ganz durchstochen.
Man sah sie aufgehangen
An Wand und Türen prangen.
Sie hatten Angst und Jammer da.
In die Fenster, kühlen Lüften nah,
War beget manchem Wunden:
Hätt er den Arzt gefunden,
So könnt er doch nicht mehr genesen.
Die waren vor dem Feind gewesen.
So ergeht es uns, die ungern fliehn.
Sich entgegen sah er Rosse ziehn
Durchstochen und zerhauen;
Auch viel dunkelfarbige Frauen
Zu beiden Seiten neben sich:
Ihr Schein der Rabenschwärze glich.

Sein Wirth, der Burggraf der Stadt,
Den Gast mit holden Worten bat,
Sich für daheim zu halten
Und nach freier Lust zu schalten
Ueber sein Gut und über ihn
Er führt’ ihn seinem Weibe hin,
Die Gachmureten küsste,
Wars auch nicht sein Gelüste.
Dann ging es in den Speisesaal.
Als sie gegeßen allzumal,
Da ging der Marschall hin zuhand,
Wo er die Königstochter fand
Und heischte großes Botenbrot.
Er sprach: «Herrin, unsre Noth
Ist mit Freuden nun zergangen.
Der hier gastlich ward empfangen,
Der Ritter ist so kühn im Streit,
Wir müßen danken allezeit
Den Göttern, die ihn hergebracht,
Daß sie uns Rettung zugedacht.»

«So sieh mir zu und säume nicht,
Daß er herkommt und mich spricht.
Wir haben Frieden diesen Tag,
Daß er herauf wohl reiten mag
Zu mir; oder soll ich hin?
Er ist andrer Farbe denn ich bin:
O weh, verdrießt ihn das auch nicht?
Hätt ich darüber nur Bericht!
Wenn mir die Meinen riethen,
Wollt ich ihm Ehre bieten.
Wie soll ich ihn empfahen?
Ist er so wohl geboren,
Daß mein Kuss nicht sei verloren?»

Ihr Herr auch manche Frau da fand,
Die wonniglich gekleidet ging.
Die reiche Königin empfing
Durch ihre Augen hohe Pein,
Als sie ersah den Anschewein,
Sein Antlitz war so minniglich:
Ihr Herz erschloß es völlig sich,
Ob es ihr lieb war oder leid;
Sonst schloß er ihre Weiblichkeit.

Ein wenig trat sie ihm entgegen
Und ließ sich küssen von dem Degen.
Sie nahm ihn selber bei der Hand.
Sie setzten sich zum Feind gewandt
In eines Fensters Ecke
Aus gesteppter Sammeldecke,
Die über weichen Kissen lag.
Dem glich nicht viel die Königin.
Sie hatte weiblichen Sinn;
Sonst war die tadellose
Ungleich der thau’gen Rubin,
Schwarze Farbe von ihr schien,
Die Krone ein lichter Rubin,
Daß man ihr Haupt durchscheinen sah.
Zum Gaste sprach die Wirthin da,
Er war ihr sehr willkommen.
«Viel hab ich, Herr, vernommen.
Wie ritterlich und kühn ihr seid.
Bei eurer Zucht, sei euch nicht leid,
Daß ich euch den Kummer klage,
Den ich nah am Herzen trage.»

«Meine Hülfe bleibt euch unversagt.
Frau, was euch kümmert oder plagt,
Mag das wenden meine Hand,
Sei sie zu euerm Dienst verwandt.
Ich bin nur der Eine Mann:
Wird euch was zu leid gethan,
So halt ich meinem Schild entgegnen;
Doch macht den Feind das nicht verlegen.»

Gachmuret erwog und sann,
Obwohl sie eine Heidin wär,
Weiblichen Sinnes seid och mehr
Nie ein Frauenherz gekommen.
Statt Taufe süß ihr Keusche frommen,
Der Regen auch, der sie begoß,
Von ihren Augen strömt’ und floß
Ihr auf den Zobel, auf die Brust.
Trauern nur war ihr Gelust

Viel Seufzer sie entschickte,
Zwischen Thränen manchmal blickte
Sie beschämt und scheu hinan
Zu Gachmureten: da begann
Ihr Aug dem Herzen zu vertraun,
Der Degen wäre schön zu schaun.
Sie war auch eine Kennerin
Lichter Farbe: früherhin
Sah sie schon viel lichte Heiden.
Da erwuchs zwischen beiden
Getreuer Minne mehr und mehr:
Sie blickte hin, er blickte her.

Sie saßen auch nicht länger so;
Der Held war traurig und doch froh.
Ihn freute, daß man Ehr ihm bot;
Doch zwang ihn wieder andre Noth:
Das war die strenge Minne,
Die da neiget hohe Sinne.

Die Wirthin kam zu ihrer Ruh;
Viel Zeit gehörte nicht dazu.
Man bettete dem kühnen Mann;
Das ward mit allem Fleiß gethan.
Der Wirth sprach zu seinem Gast:
»Schlafet nun in guter Rast
Und ruht die Nacht: das ist euch Noth.«
Den Platz zu räumen gebot
Der Wirth dem Ingesinde.
Des Gastes edle Kinde,
Ihr Bett rings um das seine lag,
Ihr Haupt daran, wie er es pflag.
Da standen Kerzen schön und groß
Und brannten hell. Den Held verdroß,
Daß so lang war die Nacht.
Ihn bracht oft in Ohnmacht
Diese schwarze Möhrin,
Des Mohrenlandes Königin.
Er wand sich oft wie Weidenholz;
Da erkrachten ihm die Glieder stolz.
Minn und Kampf war sein Begehren;
Nun wünscht, man mög es ihm gewähren.
Sein Herz von lauten Stößen scholl,
Weil es nach Ritterthaten schwoll.
Das begann dem kühnen Recken
Beide Brüste weit zu strecken
Wie die Sehne streckt die Armbrust;
Zu heftig war da sein Gelust.

Er führt’ ihn wider Willen mit.
Die Königin ihm entgegen ritt:
Seinen Zaum ergriff sie mit der Hand
Und entstrickt’ ihm des Visieres Band.
Der Wirth must ihn ihr laßen;
Seine Knappen nicht vergaßen,
Sie ritten ihrem Herren nach.
Da führte durch die Stadt gemach
Ihren Gast die weise Königin,
Dem erstritten war des Siegs Gewinn.
Ab saß sie, da sie dauchte Zeit:
»Weh, wie getreu ihr Knappen seid!
Ihr sorgt wohl, ihr verlört den Mann:
Ihm wird schon ohn euch Dienst gethan.
Nehmt sein Ross und führt es hin:
Sein Geselle ich hier bin.«

Viel Fraun er auf dem Saale fand;
Entwappnet mit schwarzer Hand
Ward er von der Königin.
Von dem besten Zobel schien
Die Decke und das Bette weich:
Da erwies sie ihm sogleich
Eine heimliche Ehre.
Zeugen waren da nicht mehre.
Die Jungfraun gingen vor die Thür
Und schoben Riegel dafür.
Da nahm des Landes Königin
Süßer Minne Hochgewinn,
Und Gachmuret ihr Herzenstraut;
Sie waren ungleich doch von Haut.

Diesen kühnen stolzen Mann
Fiel nun bald das Heimweh an.
Seine Freude war der Sorgen Pfand,
Als er nicht mehr zu kämpfen fand.
Jedoch war ihm das schwarze Weib
Lieber als sein eigner Leib.
Nie war ein Weib so rein wie sie:
Vergeßen mocht ihr Herz es nie:
Keuschheit und zarte Weiblichkeit
War ihr das wertheste Geleit.

Aus Sevilla der Stadt
War geboren, den er bat,
Daß er mit ihm enteile.
Er hatt ihn manche Meile
Gefahren schon, ihn auch zuvor
Hieher gebracht; er war kein Mohr.
Der Steurer sprach, der weise:
»Hehlt es vor ihnen leise,
Die so schwarze Haut hier tragen.
Meine Schiffe können jagen:
Nimmer holen sie uns ein,
Wir wollen bald von dannen sein.«

Er ließ sein Gold zu Schiffe tragen.
Nun muß ich euch von Scheiden sagen.
Bei Nacht fuhr ab der werthe Mann;
Das ward verstohlen gethan.
Als er entrann vom Weibe,
Trug sie schon im Mutterleibe
Ein zwölf Wochen altes Kind.
Ihn entführte rasch der Wind.
Die Frau in ihrem Beutel fand
Einen Brief von ihres Mannes Hand.
Auf Französisch, das sie konnte,
Zu sagen ihr die Schrift begonnte:
»Hier entbeut ein Lieb dem andern Lieb:
Wohl bin ich dieser Fahrt ein Dieb;
Ich muß sie Jammer fürchtend stehlen.
Ich kann dir, Frau, nicht verhehlen,
Wär dein Glaube gleich dem meinen,
Immer müst’ ich um dich weinen;
Und hab schon immer nach dir Pein.
Wird unser beider Kindelein
Von Anblick einem Manne gleich,
Fürwahr, so wird er tugendreich.
Er ist von Anschau geboren;
Minn ist ihm zur Frau erkoren.
Er wird ein Blitz in Streit und Fahr,
Dem Feind ein übler Nachbar.
Wißen soll der Sohn mein,
Sein Ahnherr war genannt Gandein
Und fand im Ritterstreit den Tod.
Des Vater litt die gleiche Noth;
Er war geheißen Addanz;
Sein Schild verblieb gar selten ganz.
Addanz war ein Breton;
Er und Utepandragon
Waren zweier Brüder Kind,
Die beide hier geschrieben sind:
Der Eine war Laßaließ;
Brikus der Andre hieß,
Und beider Vater Maßadan.
Ihn führt’ eine Fee gen Fehmorgan,
Die Terre de la joie hieß,
Und ganz ihr Herz ihm überließ.
Mein Geschlecht entsprang von diesen zwein,
Und immer giebt es lichten Schein.
Jeglicher noch die Krone trug
Und hatte Würdigkeit genug.
Herrin, läßt du taufen dich,
Wohl noch erwerben magst du mich.«

Seinem Glauben trug sie keinen Haß:
»O wie bald geschähe das!
Käm er gleich zurückgeeilt,
Ich vollbrächt’ es unverweilt.
Wem hat hier seine edle Zucht
Gelaßen seiner Minne Frucht?
Weh liebliche Genoßenschaft!
Soll mir nun der Trauer Kraft
Immer zwingen Seel und Leib?
Seinem Gott zu Ehren,« sprach das Weib,
»Ich gern mich taufen wollte
Und leben wie ich sollte.«
Ihr gab dieß Leid manch harten Streich;
Ihre Treue fand den dürren Zweig,
Wie noch die Turteltaube thut;
Die hatte stäts den gleichen Muth:
Trug sie um Minne Kummers Last,
Ihre Treue kor den dürren Ast.

Die Frau zu rechter Zeit gebar
Einen Sohn, der zweier Farben war.
Ein Wunder legte Gott an ihn;
Weiß und schwarzer Farb er schien.
Die Königin küsst ihn tausend Male
Alsbald auf seine blanken Male.
Die Mutter hieß ihr Kindelein
Feirefiss Anschewein.
Der ward ein Waldschwende,
Da die Tjoste seiner Hände
Manches Speres Schaft zerbrachen,
Der Schilde viel durchstachen.
Wie die Elster ganz und gar
Trug ihm Farbe Haut und Haar.


Source:  Wolfram von Eschenbach, Parzival and Titurel: Rittergedichte, trans. by Karl Simrock (Stuttgart: Verlag der J.G. Cotta’schen Buchhandlung, 1883).


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